Bergisch Samba
Windschutzscheibe. Vor mir, im Osten, waren die Wolken dick und schwarz, und obwohl es noch nicht mal richtig Nachmittag war, wurde es dunkel. Ich dachte gerade darüber nach, wie man bei diesem High-Tech-Fahrzeug wohl das Licht einschaltete, da wurde plötzlich die Fahrbahn vor mir weiß und war hell beleuchtet. Der Z4 besaß eine Lichtautomatik.
Kurz darauf kam ich dort an, wo der Hochzeitswald sein sollte. Ich hatte mir das Ganze entschieden hübscher vorgestellt. Ich hatte gedacht, es sei ein kleiner, romantischer Hain, in freier Natur gelegen. Ein Platz, wo man vielleicht ein schönes sommerliches Picknick machen und gleichzeitig die Aussicht auf die Landschaft genießen konnte. Oder wo sich vielleicht sogar, bei warmem Wetter, die Hochzeitsnacht im Freien verbringen ließ. Stattdessen stand ich vor einem tristen Straßendreieck. Im Hintergrund ragten graue Wohnsilos auf.
Ein kleiner Fußweg führte von der Straße aus auf ein verwildertes Stück Brachland zu. Ich folgte dem Pfad und gelangte an ein Holzschild, das Aufschluss über die Geschichte des Anwesens gab: »Erste Anpflanzung durch den scheidenden Gemeindedirektor Werner Knabe, 29. September 1989 «, las ich.
Ich überblickte das Areal. Dürre Bäumchen, die zum Teil von Pfosten gestützt werden mussten, standen auf der Wiese in kniehohem Gras. Den Zaun überquerte ich mit einem großen Schritt, kurz darauf spürte ich, wie mir die Nässe in die Schuhe drang.
Grüne Schildchen, auf kleinen Pfosten vor dem jeweiligen Baum angebracht, verkündeten mit weißer Schrift bescheiden, aber deutlich erkennbar die Namen der glücklichen Paare. Ich stapfte von Baum zu Baum, und endlich fand ich, was ich suchte: »Jonas Ratnik und Vanessa Michel-Ratnik« stand da. Darunter das Hochzeitsdatum: »10. Mai 1994«.
Noch an Ort und Stelle zog ich mein Handy heraus und rief die Auskunft an.
»Michel-Ratnik gibt es in Marienheide nicht«, meldete die freundliche Dame auf der anderen Seite. »Allerdings einen Eintrag mit Michel.«
»Ist der Vorname Vanessa?«, fragte ich.
»Ja. Da steht Vanessa und Lisa«. Sie nannte die Adresse. Die Straße hieß »Am Südhang«.
»Soll ich Sie gleich verbinden?«, fragte mich das Fräulein vom Amt, und ich bejahte. Ich war gerade wieder über den Zaun gestiegen und hatte den Weg erreicht, da meldete sich jemand.
»Hallo?« Die Stimme klang zögernd. Fast ein bisschen ängstlich.
»Frau Michel?«, fragte ich und wischte mir die Wassertropfen von der Hose.
Die Frau schien mich nicht zu hören. »Hallo?«, fragte sie erneut.
»Mein Name ist Rott«, sagte ich laut und deutlich. »Spreche ich mit Frau Michel?«
»Lisa, bist du das?«
»Hier ist Rott…«
»Lisa, komm doch nach Hause. Ich habe solche Angst.« Jetzt klang die Stimme flehend. »Bitte. Komm doch nach Hause. Bitte, bitte, bitte!«
Die Frau schwieg plötzlich, und in der Leitung war auf einmal ein merkwürdiges Geräusch. Es klang wie das Gluckern von Wasser.
»Frau Michel, ich möchte Ihnen nur ein paar Fragen stellen.«
»Komm, komm, komm. Bitte komm! Komm, komm, komm!« Die Stimme wurde immer leiser und verwandelte sich in einen murmelnden Singsang. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Hatte ich mich verwählt? Aber ich war doch von der Auskunft verbunden worden.
Ich drückte den roten Knopf und machte mich auf den Weg zum Auto. Ich fuhr zu der ausgebauten Straßenkreuzung, die in Marienheide die Innenstadt darstellt. Vor einer Apotheke lungerte ein junges Pärchen herum und starrte rauchend in die Gegend. Als ich mit der Z4 vorfuhr, machten die beiden große Augen.
Ich drückte auf den Knopf, der das Seitenfenster in der Tür versinken ließ. »Könnt ihr mir sagen, wie ich zum Südhang komme?«, fragte ich.
Die beiden grinsten. »Hey, hat Ihre Mordskarre etwa kein Navi?«, fragte der Junge.
»Der Wagen ist geliehen, und ich kann damit nicht umgehen«, sagte ich. Hier half es wohl am besten, bei der Wahrheit zu bleiben.
»Sie sind auch nicht der Typ, der so einen Wagen fährt«, sagte das Mädchen mit ernstem Gesicht.
»Schon gut«, sagte ich. »Kompliment angekommen.«
»Nehmen Sie es nicht persönlich«, sagte sie und warf die Zigarette weg.
»Also, wo ist jetzt die Straße?«
»Das ist in Oberwette. Hier weiter, bis rechts das Krankenhaus kommt«, erklärte der Junge. »Dann geht's rechts in die Wettestraße, dann wieder rechts in den Buchenweg, und der führt dann zum Südhang.«
»Danke«, sagte ich und suchte unter dem gesteigerten
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