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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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um ihm zu dienen. Um meine Aufgaben und Verantwortungen als Präsident in diesen kommenden Monaten erfüllen zu können, brauche ich Ihren guten Willen und Ihre Unterstützung und vor allem aber Ihr Gebet.
    Bild 19
    25. Juli: Ein nachdenklicher John F. Kennedy vor seiner ersten Rede an die Nation, die aus dem Oval Office live im Fernsehen übertragen werden soll.

    Evelyn Lincoln konnte sich nicht erinnern, dass der Präsident jemals nur wenige Stunden vor dem Termin einer Rede noch so viel neuen Text hinzugefügt hätte.
    Kennedy sagte zu seiner Sekretärin: »Würden Sie das bitte für mich tippen und mir geben, wenn ich rüberkomme?« 32
    Der Präsident ging um 21:30 Uhr ins Oval Office, um die Höhe des Stuhls hinter seinem Schreibtisch und die Beleuchtung zu testen. Er fragte Evelyn Lincoln, ob er sich sein Diktat noch einmal durchsehen könne, und nahm es anschließend in den Kabinettssaal mit. Er setzte sich hin, redigierte und kürzte hier und da von Hand, straffte den Text, nahm aber nicht die eigene Beklemmung heraus. Als es an der Zeit war, vor die Kamera zu treten, kam er in Lincolns Büro und bat sie um eine Bürste. Er benutzte ihren Waschraum, um sich zu vergewissern, dass seine Frisur akkurat saß.
    Trotz dieser Vorkehrung wurde die Rede von einem schwitzenden und angespannten Präsidenten in einem überheizten Büroraum gehalten. Um die Tonqualität zu verbessern, hatten die Techniker die Klimaanlage ausgeschaltet, obwohl an diesem Tag eine Rekordtemperatur von über 34 Grad Celsius herrschte. Der Aufenthalt im Büro wurde durch die Lichter von sieben Fernsehkameras und die Körperwärme von rund sechzig Personen, die sich darin drängten, um den historischen Augenblick mitzuerleben, noch unangenehmer.
    Kennedy ging für einen Moment nach draußen, um sich das Gesicht und die Lippen abzuwischen, und kehrte nur wenige Sekunden vor Beginn seiner Ansprache an ein nationales und globales Publikum zurück. Unter Scheinwerfern, die das Lesen der eben erst geänderten Textstellen erschwerten, übersprang er hier und da einige Zeilen und trug andere nicht so flüssig wie sonst vor. Aber das fiel den wenigsten Zuhörern auf. Seine aufwühlenden, entschlossenen Worte überdeckten die ganze Reihe von Kompromissen der letzten Tage, die den Acheson-Plan erheblich abgeschwächt hatten.
    Der Präsident hatte Abstand davon genommen, den nationalen Notstand auszurufen, wie Acheson gefordert hatte, und sich gegen eine sofortige Mobilmachung der Truppen entschieden. Er hatte auch die Aufstockung der Verteidigungsausgaben reduziert. In den siebzehn Tagen zwischen dem Treffen in Hyannis Port und dem Tag der Rede hatten die »Weicheier« den Ansatz Achesons verwässert, während sich der gesamte Apparat der US-Außenpolitik fast ausschließlich mit Berlin befasst hatte, einschließlich zweier wichtiger Sitzungen des Nationalen Sicherheitsrats am 13. und 19. Juli.
    Am 13. Juli hatte Außenminister Rusk im Kabinettssaal Achesons eigene
Worte benutzt, um dessen Ansatz abzuschwächen. Er zitierte einen Teil aus dem Papier seines Freundes, in dem dieser dafür plädierte, die ersten Schritte so zurückhaltend wie möglich zu wählen. »Wir sollten nach Möglichkeit Aktionen vermeiden, die für vernünftige militärische Zwecke nicht erforderlich sind und nur als provozierend angesehen werden«, sagte er.
    Mit der Rückendeckung von Vizepräsident Johnson hatte Acheson gekontert: Er sei der Meinung, dass die Vereinigten Staaten, falls sie, wie sein Freund Rusk vorschlug, die Einberufung der Reserven bis zuletzt aufschöben, »Chruschtschows Beurteilung der Krise nicht stärker beeinflussen würden, als wenn wir Bomben abwerfen, nachdem er die Angelegenheit bereits bis an die äußerste Grenze getrieben hat«. 33
    Bundy hatte den Anwesenden im Raum vier Alternativen präsentiert: 1. Mit größtmöglicher Geschwindigkeit eine substanzielle Verstärkung der US-Truppen vorantreiben; 2. sämtliche Maßnahmen fortführen, für die nicht die Erklärung des Notstands erforderlich sei; 3. den nationalen Notstand ausrufen und sämtliche Vorbereitungen fortführen, bis auf die Einberufung der Reservisten und Nationalgarde; 4. vorläufig jede größere, militärische Aufrüstung vermeiden, mit der Begründung, hier handle es sich eher um eine Krise der politischen Einheit und Willensstärke als der militärischen Notwendigkeit. 34
    Der US-Präsident hörte zu, während seine höchsten Berater die verschiedenen Optionen diskutierten. Aber

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