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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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die Bürgschaft der NATO — und die Bevölkerung Berlins selbst. Es ist in diesem Sinne genauso sicher wie wir alle – denn wir können seine Sicherheit nicht von unserer eigenen trennen […], und wir haben unser Wort gegeben, dass wir jeden Angriff auf diese Stadt als einen gegen uns alle gerichteten Angriff betrachten werden. 41
    Kennedy kam am Ende der einunddreißigminütigen Ansprache noch einmal auf Westberlin zurück:
    Das feierliche Gelöbnis, das jeder von uns Westberlin in Zeiten des Friedens gegeben hat, wird nicht in Zeiten der Gefahr gebrochen werden. Wenn wir unsere Verpflichtungen gegenüber Berlin nicht erfüllen, wo werden wir dann später stehen? Wenn wir hier unserem Wort nicht treu sind, dann wird alles, was wir hinsichtlich der kollektiven Sicherheit, die auf diesen Worten beruht, erreicht haben, nichts bedeuten – und wenn es einen Weg gibt, der vor allen anderen zum Krieg hinführt, dann ist es der Weg der Schwäche und Uneinigkeit.
    Sorensen war ganz aufgebracht, dass O’Donnell die Bedeutung der emotionsgeladenen Verpflichtung, Berlin zu verteidigen, unterschätzte. Mit Blick auf die Missachtung des »gefangenen« Ostberlin und allgemein der Osteuropäer argumentierte Sorensen, dass die Rede lediglich die Realität anerkenne. Die Russen schalteten und walteten in ihrem Sektor ohnehin nach Belieben. Die Amerikaner würden schon einen militärischen Aufmarsch, um zwei Millionen Westberliner zu verteidigen, nur widerwillig hinnehmen, es wäre jedoch zu viel verlangt, von den Amerikanern zu erwarten, dass sie ihr Leben für die eine Million Ostberliner riskierten, die auf der falschen Seite der Geschichte gefangen wären.
    O’Donnell schlug eine ganz einfache Lösung vor: Der Präsident brauchte doch nur das Wort »West« an den meisten Stellen zu streichen, wo es vor dem Wort »Berlin« auftauchte. Nach einer Stunde Diskussion protestierte Sorensen: »Hören Sie zu, ich kann mit dem Text dieser Rede […] nicht weiter Schindluder treiben. Sie hat die Mühlen von sechs Regierungsinstanzen durchlaufen. Seit zehn Tagen gehen Kopien hin und her. Das ist die Endfassung. Das ist die politische Linie. Das ist sie.«

    Mit diesem Wort endete das Mittagessen. 42
    Sorensen hatte ähnliche Proteste von anderer Seite innerhalb der Regierung ebenfalls zurückgewiesen. In den Augen der sogenannten Berlin-Mafia, der Gruppe hoher Regierungsmitarbeiter, die seit Jahren mit Argusaugen jedes Komma und Semikolon des Patts in Berlin verfolgten, beging der Präsident eine Ketzerei, insbesondere indem er den Sowjets zu verstehen gab, dass sie die Vier-Mächte-Abkommen getrost ignorieren und in ihrem Teil der Stadt nach Belieben schalten und walten konnten.
    »Es herrschte eine ›O-mein-Gott‹-Stimmung, als man die Worte zu Gesicht bekam«, sagte der in Österreich geborene Karl Mautner, der in der Nachrichten- und Ermittlungsabteilung des Außenministeriums arbeitete, nachdem man ihn nach Berlin an die amerikanische Botschaft versetzt hatte. Mautner, der im Zweiten Weltkrieg mit der 82. Luftlandedivision in der Normandie und in der Ardennenschlacht gekämpft hatte, war empört über Kennedys Kurswechsel. »Wir wussten sofort, was das hieß. […] Wir untergruben unsere eigene Position.« 43
    Fünf Tage nach der Rede mussten die Sowjets noch stärker den Eindruck bekommen, dass man ganz bewusst die Betonung auf den Westteil Berlins gelegt hatte. Senator William Fulbright erklärte nämlich am 30. Juli in der sonntäglichen ABC-Talkshow »Issues and Answers« (Fragen und Antworten), dass die Sowjets ohne weiteres die Spannungen in der Berlin-Krise abbauen könnten, indem sie das Schlupfloch Westberlin den Flüchtlingen verschlossen. »Die Wahrheit ist, denke ich, dass die Russen alle Macht haben, es auf jeden Fall zu schließen«, sagte Fulbright. »Nächste Woche, wenn sie beschließen würden, die Grenze zu schließen, könnten sie das tun, ohne einen Vertrag zu verletzen. Ich verstehe nicht, weshalb die Ostdeutschen ihre Grenze nicht schon längst geschlossen haben, denn ich meine, sie haben jedes Recht dazu.« 44
    Fulbrights Interpretation der bestehenden Verträge war falsch, und er korrigierte sich am 4. August in einer Stellungnahme vor dem Senat, in der er erklärte, dass die Bewegungsfreiheit in ganz Berlin von den Nachkriegsverträgen garantiert werde und dass sein Fernsehinterview »einen unglücklichen und falschen Eindruck« erweckt habe. Davon abgesehen bestritt Kennedy Fulbrights Äußerung

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