Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
Vom Netzwerk:
er sollte erst unmittelbar vor der Fernsehansprache selbst Hand anlegen. In einer Sitzung der kleineren »Lenkungsgruppe« des Nationalen Sicherheitsrats hatte er gesagt, dass ihn nur zwei Dinge interessierten: »Unsere Präsenz in Berlin, und unser Zugang zu Berlin.« 35
    Acheson war über den, wie er meinte, Kurswechsel in der Politik im Juli so frustriert, dass er vor einer kleinen Arbeitsgruppe zum Thema Berlin erklärte: »Meine Herren, Sie werden sich damit abfinden müssen. Dieses Land ist ohne Führung.« 36
    Auf der zweiten, entscheidenden Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats am 19. Juli um 16 Uhr wurde der Acheson-Plan nach einem Wortwechsel zwischen Acheson und Verteidigungsminister McNamara stillschweigend begraben. Acheson verlangte, die Gruppe solle definitiv beschließen, den nationalen Notstand auszurufen und mit der Einberufung der Reservisten spätestens im September zu beginnen. NcNamara zog es vor, sich vorerst nicht festzulegen, machte aber deutlich, dass Kennedy später den Notstand ausrufen und größere Bodenreserven einziehen könne, »sofern die Lage es erfordere«.

    Acheson blieb bei seiner Meinung und argumentierte, McNamaras Kurs sei weder energisch noch konkret genug.
    Kennedy hatte die Diskussion offengehalten, bis Acheson allmählich klarwurde, dass der Oberbefehlshaber nicht den Mut hatte, die totale Mobilmachung einzuleiten. Am Ende stimmte Acheson McNamaras Vorschlag zu. Der Verteidigungsminister bekam folglich den gewünschten flexibleren Fahrplan, damit er »nicht eine große Reservetruppe ohne Auftrag zur Verfügung hatte«. Für den Fall, dass sich die Krise verschärfen sollte, war jedoch eine rasche Verlegung vorgesehen. 37
    Botschafter Thompson nahm nicht an der Sitzung teil, trug aber mit Telegrammen aus Moskau zur Entscheidung bei. Er argumentierte, dass Kennedy die Sowjets stärker beeindrucken würde, wenn er die Alliierten gemeinsam zu beträchtlichen militärischen Schritten bewegen könne, als wenn er sie durch allzu weitgehende Maßnahmen spaltete. Nach Thompsons Logik würde eine langfristige Stärkung der Bereitschaft eine größere Wirkung erzielen als dramatische und Publicity heischende Gesten. Kennedys Geheimdienstberater befanden ebenfalls, dass ein allzu starker öffentlicher Auftritt Chruschtschow lediglich zu einem noch härteren Kurs verleiten würde. Zudem würde sich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass er seinerseits militärische Gegenmaßnahmen ergriff. 38
    Am Ende rief der Präsident in seiner Rede vom 25. Juli nicht den nationalen Notstand aus, sondern erklärte, dass er im Kongress die Genehmigung beantragen werde, im Fall einer Berlin-Blockade sofort die Zahl der Einberufungen zu verdreifachen, die Reserven einzuziehen und wirtschaftliche Sanktionen gegen Länder des Warschauer Pakts zu verhängen. Kennedy hatte schon in einer Sitzung des Sicherheitsrats gesagt, die Ausrufung des nationalen Notstands sei »eine Alarmglocke, die man nur einmal läuten kann«, und der von Acheson befürwortete Kurs werde die Sowjets nicht von der Entschlossenheit der USA, sondern von ihrer »Panik« überzeugen. 39
    Acheson hatte für die Ausrufung des Notstands plädiert, weil dieser Schritt sowohl den Sowjets als auch amerikanischen Widersachern den Ernst der Lage vor Augen geführt hätte. Zugleich hätte es dem Präsidenten ermöglicht, eine Million Reservisten einzuziehen und den Militärdienst zu verlängern.
    Kennedy wollte jedoch auf keinen Fall überreagieren, nicht zuletzt weil er das Vertrauen der Alliierten zu seiner Führung wiederaufbauen wollte, nachdem er die Operation in der Schweinebucht so verpfuscht hatte. Er ging außerdem davon aus, dass ihm eine lange Reihe von Auseinandersetzungen mit den
Sowjets bevorstand, und hatte deshalb Bedenken wegen einer voreiligen Eskalation, um sich einer Angelegenheit zu widmen, die sich möglicherweise als »eine falsche Klimax« in der Konfrontation erweisen könnte. Er wollte nicht sein ganzes Pulver verschießen.
    Also forderte Kennedy 3,454 Milliarden Dollar zusätzliche Ausgaben für die Streitkräfte, fast exakt die Summe, die Chruschtschow angekündigt hatte, allerdings weniger als die 4,3 Milliarden, die Acheson ursprünglich angestrebt hatte. Die Erhöhung hatte dennoch eine Steigerung der Rüstungsausgaben unter Kennedy um insgesamt 6 Milliarden Dollar zur Folge. Er wollte die genehmigte Stärke der US Army von 875 000 auf eine Million Mann aufstocken. Die Vereinigten Staaten würden die Möglichkeit

Weitere Kostenlose Bücher