Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
einer Luftbrücke für Berlin vorbereiten sowie Vorkehrungen treffen, um bis zum Ablauf der Frist Chruschtschows für die Unterzeichnung eines Friedensvertrags im Dezember sechs weitere Divisionen nach Europa zu verlegen.
Wohl am erstaunlichsten, jedoch von den Medien völlig unbeachtet, war der Umstand, dass Kennedy in der Rede siebzehnmal von West berlin sprach. Er blieb also bei der üblichen Verwendung des Zusatzes »West«. Kennedy wiederholte im Grunde seine Wiener Botschaft an Chruschtschow, dass die Sowjets mit dem Ostteil der Stadt tun und lassen konnten, was sie wollten, solange sie nicht Hand an den westlichen Teil legten.
Nur einen Tag vorher hatte sich beim Mittagessen ein führender Vertreter der US Information Agency, James O’Donnell, bei Kennedys Redenschreiber Ted Sorensen beschwert, weil in einer Endfassung der Rede West berlin so sehr hervorgehoben wurde. O’Donnells Meinung zählte durchaus, weil er ein Freund der Familie Kennedy und ein alter Soldat in Berlin war, der bei Kriegsende als erster Nichtsowjet den Führerbunker inspiziert hatte. Er hatte ein Buch über Hitlers letzte Tage geschrieben und anschließend die Berlin-Blockade selbst als Korrespondent von Newsweek erlebt. Er genoss ein so hohes Ansehen, dass er im Vorjahr für den Präsidentschaftskandidaten Kennedy ein Memo über das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin geschrieben hatte.
Sorensen hatte O’Donnell stolz den Entwurf der Rede vom 25. Juli gezeigt und argumentiert, dass sie selbst »Hardlinern« wie ihm gefallen dürfte. Aber je genauer O’Donnell die Rede prüfte, umso bestürzter war er über die unilateralen Zugeständnisse, die sie enthielt. Es war die Rede von der Bereitschaft Kennedys, »Störfaktoren« in Westberlin zu beseitigen, während gleichzeitig erklärt wurde, dass »die Freiheit der Stadt nicht zur Verhandlung« stehe. Laut Ulbricht zählten zu jenen »Störfaktoren« die quicklebendigen und freien Medien
Westberlins, der amerikanische Rundfunksender RIAS, die Freizügigkeit der westlichen Militär- und Geheimdienstbehörden sowie, am wichtigsten, die Möglichkeit der Ostdeutschen, die offene Grenze zu überqueren und Zuflucht zu suchen.
Ein anderer Absatz erkannte »das historische Interesse der Sowjetunion an ihrer Sicherheit in Mittel- und Osteuropa nach einer Reihe verheerender Invasionen [an], und wir glauben, dass sich Vereinbarungen erzielen lassen, die helfen können, diese Interessen zu berücksichtigen, und Sicherheit und Freiheit in diesem Gebiet möglich machen werden«.
Was mochte Kennedy damit wohl meinen, fragte sich O’Donnell, der nicht wusste, dass der Absatz sich auf eine Formulierung stützte, die Kennedy im privaten Gespräch in Wien benutzt hatte. Kaufte er Moskau womöglich die Klagen über den wiedererwachenden deutschen Militarismus ab? Trat er Länder wie Polen, die Tschechoslowakei und Ungarn vielleicht für immer an die Sowjets ab?
Aber nichts beunruhigte O’Donnell mehr als die wiederholten Verweise auf die Sicherheit ausschließlich West berlins. Das konnte nur eine bewusste Botschaft sein, die den Sowjets, in O’Donnells Augen, in Ostberlin freie Hand gab, obwohl die Stadt genau genommen noch unter dem Vier-Mächte-Status stand. 40
Kennedy sagte den Amerikanern in seiner Rede: »Die unmittelbare Bedrohung für die freien Menschen befindet sich in Westberlin.« Er verwendete für die Amerikaner als visuelle Lehrhilfe eine Karte, die Westberlin als eine weiße Insel in einem Meer aus kommunistischem Schwarz zeigte. Mit Kennedys Worten:
Denn Westberlin – in seiner exponierten Lage 110 Meilen inmitten Ostdeutschlands, umgeben von sowjetischen Truppen und dicht an den sowjetischen Versorgungslinien — spielt eine vielgestaltige Rolle. Es ist mehr als ein Schaufenster der Freiheit, ein Symbol, eine Insel der Freiheit inmitten der kommunistischen Flut. Es ist noch weit mehr als ein Bindeglied zur freien Welt, ein Leuchtfeuer der Hoffnung hinter dem Eisernen Vorhang und ein Schlupfloch für die Flüchtlinge.
Westberlin ist all das. Aber darüber hinaus ist es jetzt – mehr denn je zuvor – zu dem großen Prüfstein für den Mut und die Willensstärke des Westens geworden, zu einem Brennpunkt, in dem unsere feierlichen, durch all die Jahre bis 1945 zurückreichenden Verpflichtungen jetzt mit
den sowjetischen Ambitionen in grundsätzlicher Gegenüberstellung zusammentreffen.
Die Vereinigten Staaten sind dort und Großbritannien und Frankreich ebenfalls, da ist ferner
Weitere Kostenlose Bücher