Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Westberlin um jeden Preis zu verteidigen. Sein Problem war: Chruschtschow glaubte inzwischen nicht mehr, dass Kennedy um Berlin
kämpfen würde, wie der sowjetische Botschafter Menschikow in Washington jedem bereitwillig erzählte. Gleichzeitig wollte Kennedy jedoch Chruschtschow zu verstehen geben, dass er für eine vernünftige Kompromisslösung offen war.
Ein heißes Bad sollte die ständigen Rückenschmerzen lindern. Anschließend nahm Kennedy, wie so oft, das Abendessen allein von einem Tablett ein. Während des Essens rief er seine Sekretärin Evelyn Lincoln an und sagte: »Würden Sie das bitte notieren. Ich möchte es der Rede hinzufügen, die ich heute Abend halten werde.« 30 Dann fing er an zu diktieren:
Ich möchte gern mit einigen persönlichen Worten schließen. Als ich für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten kandidierte, wusste ich, dass dieses Land vor schweren Aufgaben stand, aber ich konnte nicht ermessen – noch konnte irgendjemand sonst erkennen, der nicht die Bürde dieses Amtes trägt –, wie groß und konstant diese Lasten sein würden. Ende der Vierzigerjahre stützten sich die Vereinigten Staaten bei ihrer Sicherheit auf die Tatsache, dass sie allein über die Atombombe und die Mittel, sie einzusetzen, verfügten. Selbst Anfang der Fünfzigerjahre, als die Sowjetunion anfing, eine eigene thermonukleare Kapazität aufzubauen, hatten wir noch einen eindeutigen Vorsprung bei den Trägersystemen, doch in den jüngsten Jahren hat die Sowjetunion einen eigenen Vorrat an Kernwaffen aufgebaut und auch die Fähigkeit entwickelt, mit Flugzeugen und Raketen Bomben gegen unser Land selbst einzusetzen. 31
Evelyn Lincoln stenografierte fleißig mit, während Kennedy weiterdiktierte. Dabei flogen ihm die idealen Worte regelrecht zu:
Das heißt, dass es, wenn die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion jemals in eine Auseinandersetzung verwickelt werden, in der diese Raketen eingesetzt werden, die Vernichtung sowohl unseres Volkes als auch unseres Landes bedeuten kann.
Das eigentlich Bedrohliche daran ist die Tatsache, dass die Sowjetunion in aggressivster Weise versucht, ihre Macht zu behaupten, und das bringt sie in jenen Gegenden wie Berlin, wo wir langjährige Verpflichtungen eingegangen sind, in Kollision mit uns. Dreimal zu meinen Lebzeiten waren unser Land und Europa in größere Kriege verwickelt. In allen diesen Fällen waren schwere Fehlkalkulationen auf beiden Seiten hinsichtlich der
Absichten der anderen Seite der Anlass zu riesigen Zerstörungen. Heute, im thermonuklearen Zeitalter, würde jede Fehlkalkulation auf einer Seite hinsichtlich der Absichten der anderen Seite in wenigen Stunden mehr Vernichtung über uns bringen als alle Kriege in der Geschichte der Menschheit zusammen.
Bild 34
Kennedy überreicht seiner Sekretärin Evelyn Lincoln die letzten Korrekturen an seiner Rede.
Da sie sich des Ernstes der Worte des Präsidenten bewusst war, konzentrierte sich Evelyn Lincoln darauf, keinen Fehler zu machen. Sie spürte den historischen Augenblick und hörte den Schmerz in der Stimme des Mannes, der seine Last trug – ein Wort, das er in der Rede mehrmals und Tag für Tag immer häufiger gebrauchte.
So werde ich als Präsident und als Oberbefehlshaber — da wir Amerikaner gegenwärtig eine schwere Zeit durchmachen – diese Verantwortung, die mir unsere Verfassung auferlegt, in den kommenden dreieinhalb Jahren tragen. Aber ich bin sicher, dass wir alle – ohne Rücksicht auf unseren Beruf — unser Bestes für unser Land und unsere Sache tun werden. Denn
wir alle wollen, dass unsere Kinder in einem Lande, in dem der Friede herrscht, und in einer Welt, in der die Freiheit fortbesteht, aufwachsen. Ich weiß, dass wir zuweilen ungeduldig werden. Es gelüstet uns nach einer irgendwie sofortigen Aktion, die den uns drohenden Gefahren ein Ende bereitet. Aber ich muss Ihnen sagen, dass es keine schnelle und leichte Lösung gibt. Die Kommunisten haben die Kontrolle über eine Milliarde Menschen, und sie wissen, dass — falls wir fallen sollten – der Erfolg ihnen unmittelbar zufallen muss. Wir müssen uns auf lange Frist vorbereiten, auf Tage, die — wenn wir mutig und standhaft sind – uns das bringen können, was wir uns alle erwünschen. Für diese Tage und Wochen bitte ich um Ihre Hilfe und Ihren Rat. Ich bitte um Ihre Vorschläge, wenn Sie der Ansicht sind, dass wir etwas besser machen könnten. Wir alle, das weiß ich, lieben unser Land und werden unser Bestes tun,
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