Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
sie wie alle anderen Befehle an jenem Abend mit der Formel »Mit sozialistischen Grüßen, E. Honecker« unterzeichnet hatte. 25
HYANNIS PORT, MASSACHUSETTS
SAMSTAG, 12. AUGUST 1961, MITTAGS [18:00 UHR IN BERLIN]
Offensichtlich ohne etwas von den Vorgängen in Berlin zu ahnen, versuchte US-Präsident Kennedy, die Hitze von über 30 Grad auf Cape Cod bei einer mittäglichen Bootsfahrt zu überstehen. Den ganzen Vormittag über hatte er Berichte gelesen, die er nach den Gesprächen vom Freitag über die nötigen Vorbereitungen auf eine potenzielle Berlin-Krise mit Außenminister Rusk und Verteidigungsminister McNamara erhalten hatte. 26
Der diplomatische Notenwechsel des Tages gab Anlass zur Besorgnis.
Chruschtschow hatte einen Tag zuvor auf einer Veranstaltung zur sowjetisch-rumänischen Freundschaft eine Rede gehalten, und die US-Botschaft in Moskau machte sich Sorgen wegen seiner offenen Androhung »einer völligen Vernichtung« der NATO-Mitglieder Griechenland, Italien und Bundesrepublik Deutschland, falls es zum Kriegsausbruch kommen sollte. Gleichzeitig hatte Chruschtschow jedoch nachdrücklicher als bisher die sowjetische Bereitschaft betont, den Zugang zu Westberlin und eine Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Stadt zu gewährleisten. 27
Außenminister Rusk hatte ein scharf formuliertes Telegramm an Walter Dowling, den US-Botschafter in Deutschland, geschickt, das mit den Worten begann: »Die Lage in Ostdeutschland erregt zunehmend unsere Besorgnis.« Er warnte, dass »ein Ausbruch nach dem Muster von 1953 zum jetzigen Zeitpunkt äußerst unglücklich wäre«. 28
Rusk fürchtete, dass ein Aufstand als Reaktion auf die Gefahr, dass »das Schlupfloch geschlossen« werde, ausbrechen könnte, »bevor die militärischen und politischen Maßnahmen für die Lösung des Berlin-Problems, die derzeit eingeleitet werden, Wirkung zeigten«. Er sagte: »Besonders unglücklich wäre es, wenn sich ein Ausbruch in Ostdeutschland auf die Erwartung unmittelbarer, militärischer Hilfe aus dem Westen stützen würde.«
Dowling sollte ihm berichten, wie die westdeutsche Regierung die »Wahrscheinlichkeit eines baldigen Ausbruchs« einschätzte und »welche Maßnahmen sie in Betracht ziehe, um ihn zu verhindern, und welche Maßnahmen der Vereinigten Staaten und anderen Alliierten sie für nützlich erachte«. Er ermahnte Dowling, den Westdeutschen mitzuteilen, dass »die Alliierten, nichts unternehmen sollten, um die Lage zu verschärfen«.
Trotz dieser eindeutigen Angst vor drohenden Unruhen schob Kennedy um die Mittagszeit die Unterlagen beiseite und machte einen Bootsausflug. Mit seiner Frau, der dreijährigen Caroline und Lem Billings, seinem langjährigen Freund aus der New Yorker Werbebranche, fuhr er zum Nantucket Sound. In Cotuit Harbor warf der US-Präsident den Anker aus, nachdem die Küstenwache und Polizeiboote einen Bereich für die Präsidentenfamilie geräumt hatten. Jackie legte ihren rosa Sonnenschirm beiseite und sprang in einem blau-weißen Badeanzug ins Wasser.
Der letzte Bericht über Chruschtschows Aktivitäten hatte kaum etwas Interessantes enthalten. Der sowjetische Führer war übers Wochenende auf die Krim gefahren, wo er den Parteitag im Oktober vorbereitete. Dem Vernehmen
nach hatte er die Absicht, bis Anfang September dort zu bleiben. Da war der Wirbel um die bislang außergewöhnlich erfolgreiche Baseballsaison der New York Yankees weit aufregender. Mickey Mantle hatte soeben seinen vierundvierzigsten, Roger Maris seinen zweiundvierzigsten Homerun geschlagen.
Nach einem viereinhalbstündigen Ausflug kehrten die Kennedys zu ihrem privaten Anlegesteg zurück und schwammen noch ein wenig, gemeinsam mit Caroline in einer orangeroten Schwimmweste. Die Los Angeles Times berichtete, dass der Präsident, »auch wenn er nicht gerade kraftvoll schwamm, […] zumindest keine Anzeichen von der letzten Rückenverletzung erkennen ließ, als er flink eine Leiter im Heck der Marlin hochkletterte«.
Während Soldaten in Ostdeutschland heimlich Panzerfallen, Stacheldraht, Pfeiler und Spanische Reiter auf Lastwägen luden, fuhr Kennedy mit seinem weißen Golfcart ins Dorf Nantucket, wo er Caroline und vier ihrer Cousinen in einem Süßwarenladen Eis kaufte. Jackie sah in ihrer blauen Bluse und den roten Shorts aus, als wäre sie direkt einer Modezeitschrift entstiegen.
OSTBERLIN
SAMSTAG, 12. AUGUST 1961, 19:00 UHR
Der Reuters-Korrespondent Kellett-Long hatte mit seinem Artikel vom Freitag,
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