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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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in dem er voraussagte, dass in Kürze in Berlin etwas passieren würde, so viel Staub aufgewirbelt, dass sein Pressechef David Campbell am Nachmittag selbst eingeflogen war, um persönlich der Sache nachzugehen. Am frühen Samstagabend suchten die beiden Männer immer noch nach einer konkreten Bestätigung der augenscheinlichen Exklusivmeldung von Kellett-Long. »Sie haben uns da ganz schön in die Bredouille gebracht«, sagte Campbell seinem jungen Reporter. »Es wäre besser, wenn tatsächlich etwas passierte.«
    Als Kellett-Long seinen Artikel nochmals durchlas, fragte er sich, ob er vielleicht besser den Mund nicht so voll genommen hätte. Er fuhr mit Campbell im Wagen durch ganz Ostberlin; beide hielten vergeblich Ausschau nach der Krise, die er vorhergesagt hatte. Alles, was Kellett-Long zu sehen bekam, war ein wunderschöner Sommertag mit überfüllten Freibädern und Straßencafés.
    Womöglich passiert es später am Abend, sagte der Reporter lahm zu seinem Chef.

    HAUPTQUARTIER DER VOLKSARMEE, STRAUSBERG, DDR
SAMSTAG, 12. AUGUST 1961, 20:00 UHR
    General Heinz Hoffmann, DDR-Verteidigungsminister und Oberbefehlshaber in Personalunion, stand stolz vor seinen Offizieren. Mit seinen fünfzig Jahren, seiner strammen, kerzengeraden Haltung, in seiner perfekt gebügelten Uniform mit acht Reihen Orden, dem akkurat zurückgekämmten, schütteren blonden, mit ein paar grauen Strähnen durchwirkten Haar und seinen hohen Wangenknochen sah er aus, als sei er gerade einem Film über den Zweiten Weltkrieg entsprungen.
    Wie so viele Mitglieder der ostdeutschen Führungsriege war er im Vorkriegsdeutschland ein rebellischer junger Kommunist gewesen. Wegen eines tätlichen Angriffs auf einer Demonstration gegen die Nazis war er verurteilt worden und hatte eine schwere Gefängnisstrafe abgesessen. 1937/38 war er im Spanischen Bürgerkrieg schwer verwundet worden, wo er unter dem Decknamen Heinz Roth in einer Internationalen Brigade gekämpft hatte. Nach zwei Jahren in einem Internierungslager zog er in die Sowjetunion, wo er für seine künftige Funktion ausgebildet wurde. Im Jahr 1949 hatte er die Aufgabe übernommen, die ostdeutschen Streitkräfte aufzubauen, die er jetzt gegen ihr eigenes Volk einsetzen sollte.
    Neben ihm stand sein eindrucksvoller, fleißigster Untergebener, Ottomar Pech, ein Mann, der in der Wehrmacht des Dritten Reichs gekämpft hatte, bis er an der Ostfront in russische Kriegsgefangenschaft geraten war. Seine Aufgabe war es, Eliteeinheiten auszubilden und die Koordination zwischen Geheimpolizei und Militär zu überwachen, die an jenem Abend so wichtig sein sollte.
    Vor den beiden hatten sich die führenden Befehlshaber der Armee und die höchsten Offiziere der Grenzpolizei im NVA-Hauptquartier in Strausberg, rund 30 Kilometer östlich von Berlin, versammelt. Sie hatten sich reichlich an einem kalten Büfett bedient und klagten über die Auswahl und Qualität der Lebensmittel, die sich die meisten DDR-Bürger nicht so ohne weiteres beschaffen konnten: Wurst, Schinken, Kalbfleisch, Kaviar und geräucherten Lachs. Alkoholische Getränke wurden zwar ebenfalls angeboten, aber die meisten tranken Kaffee, weil Gerüchte kursierten, dass sie noch am selben Abend an einer geheimen Operation teilnehmen sollten.
    Hoffmann instruierte die Offiziere über die bevorstehenden Ereignisse, nachdem sie sich einen motivierenden Film über die Schlagkraft der sozialistischen
Streitkräfte angesehen hatten. Um Punkt 20 Uhr teilte Hoffmann die ersten geheimen Befehle an seine höchsten Offiziere aus. Anschließend wurden der Reihe nach die unteren Offiziere instruiert, viele telefonisch. Sie waren bereit, Soldaten und die Polizei zu mobilisieren. Zu Tausenden hatten ihre Vorgesetzten sie den ganzen Samstag in den Kasernen und auf Übungsgeländen behalten. 29
    Um 22 Uhr war Honecker zuversichtlich, dass sein Apparat ebenso exakt wie geplant gehandelt hatte und zur totalen Mobilisierung der Kräfte bereit war. Die ganze Nacht hindurch erhielt er Berichte von den befehlshabenden Offizieren, Bezirksparteikomitees und Regierungsbehörden. Er hatte überall seine Fühler ausgestreckt. Honecker sollte später erklären, dass die Operation, »die an dem nun anbrechenden Tag, einem Sonntag, [begann], die Welt aufhorchen ließ«. 30
    Die wenigen Informationen, die über die Operation in den Westen durchgesickert waren, hatten keine Reaktion provoziert. Der Vorsitzende der Freien Demokratischen Partei (FDP), Erich Mende, hatte sich

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