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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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wichtigsten Meldungen enthielt.
    Gierig überflog er die Seiten und war regelrecht »erschüttert«, als er nur Routinebeiträge entdeckte, die »mit keinem Worten andeuteten, dass in Kürze etwas passieren würde«.
    Kellett-Longs Redakteure, denen die Abonnenten ordentlich eingeheizt hatten, drängten ihn, entweder eine Story zu schreiben, die seinen früheren Artikel bestätigte, oder das Ganze abzusagen. »Ich kann doch nicht einfach den Kopf in den Sand stecken«, dachte er bei sich, während er sich an den Aufmacher der Story setzte.
    »Entgegen den Erwartungen …«, tippte er.
    »Entgegen den Erwartungen von was?« , fragte er sich.
    »Was bin ich doch für ein Stümper«, murmelte er vor sich hin.
    Er zerknüllte das Papier und warf es weg. In seiner Aufregung rauchte er eine Zigarette nach der anderen. 35

    RÖNTGENTAL, DDR
SONNTAG, 13. AUGUST 1961, MITTERNACHT
    Drei lange, durchdringende Sirenentöne rissen Unteroffizier Rudi Thurow aus dem Schlaf. Er schaltete das Licht ein und sah auf die Uhr. Es war eine Minute nach Mitternacht. Wahrscheinlich wieder mal eine Übung, schimpfte er vor sich hin. In letzter Zeit hatten sie unablässig Manöver durchgeführt. Aber der schlanke, blonde dreiundzwanzigjährige Gruppenführer des 4. Zugs, 1. Brigade der ostdeutschen Grenzpolizei wusste, dass es seine Aufgabe war, jedes einzelne ernst zu nehmen. 36
    Außerdem hatte Thurow am Nachmittag eine so starke militärische Aktivität beobachtet, dass er vermutete, dass hier mehr als eine Übung im Gange war. Sowjetische T-34- und T-54-Panzer waren den ganzen Nachmittag über an seinem Posten in Röntgental, 40 Kilometer nördlich von Berlin, vorbeigerollt; darüber hinaus hatte er mehrere Züge mit DDR-Soldaten in Richtung Ostberlin fahren sehen.
    Vor nunmehr sechs Jahren hatte sich Thurow freiwillig zur Grenzpolizei gemeldet, angelockt von dem hohen Sold und dem privilegierten Zugang zu seltenen Konsumgütern. Seither hatte er unzählige Auszeichnungen bekommen, denn er war der beste Scharfschütze der Brigade.
    Er zog sich schnell an, lief eilig in den Nachbarraum, wo er seine Männer weckte. Sie beschwerten sich lautstark, als er ihnen abrupt die Decke wegzog. Kaum hatten sie sich auf dem Exerzierplatz aufgestellt, da teilte der Erste Leutnant Witz, der Kommandeur der Kompanie, seinen Männern und Dutzenden anderen in jener Nacht mit, dass sie Maßnahmen ergreifen würden, die ihnen vom Feind aufgezwungen worden seien.
    Allzu lange, so Witz, habe die Regierung den Verlust von Arbeitskräften an den Westen geduldet. Die Menschenhändler in Westberlin, die über die Bürger der DDR herfielen, würden nunmehr in die Schranken gewiesen. Witz sprach von dreiundachtzig Spionage- und Terrorzentren in Westberlin, denen durch die Aktion seiner Männer in jener Nacht ein vernichtender Schlag versetzt werde. 37
    Witz gab an, er sei selbst erst vor einer Stunde instruiert worden, riss behutsam einen großen braunen Umschlag mit der Markierung »Streng geheim« auf und holte den Inhalt heraus. Thurow und seine Kameraden hörten ungeduldig zu, während Witz fünf Minuten lang aus dem Dokument vorlas, bis er zum Ende kam:
    Zur Unterbindung der feindlichen Tätigkeit der revanchistischen und militaristischen Kräfte Westdeutschlands und Westberlins wird eine solche Kontrolle an den Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik einschließlich der Grenze zu den Westsektoren von Groß-Berlin eingeführt, wie sie an den Grenzen jedes souveränen Staates üblich ist … 38
    Berlin sollte in zwei Teile gespalten werden, und Thurows Männer halfen bei der Ziehung der Trennlinie mit. Thurow hörte, wie sich ein Unteroffizierskollege, ein loyaler Kommunist, halblaut fragte: »Ob die Alliierten da einfach zusehen und die Hände in den Schoß legen?«
    Oder erklärten sie den Krieg?
    BÜRO DER NACHRICHTENAGENTUR REUTERS, OSTBERLIN
SONNTAG, 13. AUGUST 1961, 1:00 UHR
    Kurz vor 1 Uhr sah Adam Kellett-Long zu, wie sein ostdeutscher Agenturdrucker die tägliche Gute-Nacht-Botschaft ausspuckte. Er beschloss, »seine Sachen zu packen« und sich am nächsten Morgen nach einem neuen Job umzusehen. 39
    Genau in diesem Moment klingelte das Telefon, und eine unbekannte Stimme riet ihm auf Deutsch, in dieser Nacht nicht schlafen zu gehen. Um 1:11 Uhr erwachte sein Fernschreiber zum Leben. Kellett-Long las, während das Gerät ein Dekret des Warschauer Pakts mit zehntausend Worten ausspuckte. Der britische Korrespondent war ganz frustriert, dass der

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