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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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mit Ernst Lemmer, Adenauers Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen, wie es damals hieß, in Verbindung gesetzt, nachdem er von dem Chef des westdeutschen Geheimdienstes gehört hatte, seine Leute hätten Indizien dafür, dass Ulbricht vorhabe, »mitten durch Berlin in Kürze mit Sperrmaßnahmen zu beginnen«. Die Information klang so glaubwürdig, dass Mende Lemmer in seinem Büro aufgesucht hatte, um über die Gefahr zu sprechen, während sie gemeinsam einen Stadtplan inspizierten. Die beiden Männer waren sich einig, dass eine Schließung der Grenze unmöglich war.
    Das gehe nicht, meinte Mende.
    Aber Punkt Mitternacht rief Honecker im Armeehauptquartier an und gab Verteidigungsminister Hoffmann den Befehl, die unvorstellbare Operation zu beginnen.
    »Du kennst die Aufgabe«, sagte er. »Marschiert!« 31
    Hoffmann setzte seine Einheiten unverzüglich in Bewegung: Rund 3150 Soldaten der 8. Motorisierten Artilleriedivision rollten mit 100 Kampfpanzern und 120 gepanzerten Mannschaftstransportern von Schwerin aus in Richtung Berlin. Sie machten im Bezirk Friedrichsfelde in Ostberlin halt. Hoffmann schickte weitere 4200 Soldaten der 1. Motorisierten Schützendivision von ihren Kasernen in Potsdam mit 140 Panzern und 200 Mannschaftstransportern aus. Diese sollten den zweiten Verteidigungsring hinter der Front an der Grenze verstärken, der aus rund 10 000 Mann aus Einheiten
der Ostberliner Volkspolizei, der 1. Brigade der Bereitschaftspolizei und des Berliner Sicherheitskommandos bestand.
    Insgesamt sollten in den kommenden Stunden rund 8200 Volkspolizisten und 3700 Angehörige der Bereitschaftspolizei, verstärkt durch 12 000 Mann der Betriebskampfgruppen und 4500 Mann der Staatssicherheit, in Aktion treten. Unterstützt wurden sie von weiteren 40 000 ostdeutschen Soldaten im ganzen Land für den Fall, dass die Schließung der Grenze einen vergleichbaren Aufstand wie im Juni 1953 auslösen sollte. Soldaten aus Sachsen, die als besonders zuverlässig galten, sollten die 10 000 Soldaten der Volksarmee in Berlin verstärken. 32
    Es war eine kalte und klare Nacht – geradezu ideal für diesen Zweck.
    Womöglich war Mutter Natur doch Kommunistin.
    GROSSER DÖLLNSEE, DDR
SAMSTAG, 12. AUGUST 1961, 22:00 UHR
    Ulbricht sah auf seine Armbanduhr. »Wir halten jetzt noch eine kleine Sitzung ab«, verkündete er seinen Gästen.
    Es war genau 22:00 Uhr, höchste Zeit also, die Gäste seiner Gartenparty in einem einzigen Raum für die Bekanntgabe zu versammeln. Sie waren müde, satt und im Begriff, nach Hause zu gehen, nachdem sie schon mehr als sechs Stunden auf dem Landsitz verbracht hatten. Nicht wenige waren bereits angetrunken oder hatten zumindest einen Schwips. Alle kamen der Aufforderung nach.
    Dann teilte Ulbricht ihnen mit, dass die Sektorengrenze zwischen Ost-und Westberlin binnen drei Stunden geschlossen werde. Mit einem gedruckten Erlass, den die Minister noch zu genehmigen hätten, wollte er die ostdeutschen Sicherheitskräfte ermächtigen, eine angemessene Kontrolle an der noch offenen Grenze zwischen dem sozialistischen und kapitalistischen Europa einzuführen.
    »Alle einverstanden?«, fragte Ulbricht und nahm das Nicken der überwiegend sprachlosen Gäste zur Kenntnis.
    Er erklärte seinen Gästen, dass es ihnen, genau wie dem Personal, nicht gestattet sei, Döllnsee zu verlassen, solange die Operation im Gange sei, um absolute Sicherheit zu gewährleisten. Aber sie könnten sich nach Herzenslust mit Getränken und Speisen bedienen, forderte er sie auf. 33
    Kein Einziger protestierte. Wie Ulbricht dem sowjetischen Botschafter
Perwuchin drei Tage zuvor gesagt hatte: »Wir werden zusammen essen, ich teile ihnen die Schließung der Grenze mit und bin vollkommen überzeugt, dass sie diesen Schritt billigen werden. Vor allem aber lasse ich sie nicht weg, bis die Aktion beendet ist.«
    »Sicher ist sicher«, schob er nach. 34
    BÜRO DER NACHRICHTENAGENTUR REUTERS, OSTBERLIN
SAMSTAG, 12. AUGUST 1961, 22:00 UHR
    Kellett-Long hatte mehr Angst um seine eigene Karriere als um das Schicksal Berlins.
    Es war schon nach 22 Uhr, und er hatte immer noch keine Fakten vorzuweisen, die seine Sensationsmeldung vom Freitag erhärtet hätten, dass Berlin ein schicksalhaftes Wochenende bevorstehe. Er kehrte zum Ostbahnhof zurück, um nach ungewöhnlichen Aktivitäten Ausschau zu halten, und suchte den Kiosk auf, an dem er regelmäßig eine frühe Ausgabe des Neuen Deutschland erwarb, des kommunistischen Parteiorgans, das stets die

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