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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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Außenministerium würde es ohnehin vier bis sechs Stunden dauern, ein offizielles Telegramm von Berlin aus über sichere Kanäle an der US-Botschaft in Bonn nach Washington zu schicken. Die Grenzschließung hatte darüber hinaus auch die Bemühungen der amerikanischen Geheimdienste gestört, sich mit ihren üblichen Informanten in Verbindung zu setzen. Das hieß wiederum, dass eine Bestätigung der Ereignisse in Ostberlin aus unabhängiger Quelle verhindert wurde. 45
    Lightner wollte von seinen Informanten unbedingt wissen, ob sie nicht sowjetische Streitkräfte beobachtet hätten, die sich direkt an der Operation beteiligt hätten. Einerseits bedeutete dies, dass die Grenzschließung keine militärische Gefahr für die Vereinigten Staaten war, weil sowjetische Soldaten nicht in Massen in Berlin aufmarschiert waren. Andererseits verstieß die DDR-Regierung gegen die im Vier-Mächte-Abkommen vereinbarten Bestimmungen, die die Anwesenheit deutscher Soldaten in Ostberlin generell untersagten, geschweige denn deren Einsatz, um die Stadt zu besetzen und die Grenze zu schließen.
    Um 11:00 Uhr Berliner Ortszeit telegrafierte Lightner seinen ersten längeren Bericht an Rusk, nachdem er zuvor nur Kurzmeldungen über einen sogenannten kritischen Kanal geschickt hatte, der eine schnellere Nachrichtenübermittlung
erlaubte. Er berichtete schlicht und einfach: »Früh am Morgen 13. August führte ostdeutsches Regime drastische Kontrollmaßnahmen ein, die Effekt haben, Zutritt nach Westberlin aus Sowjetzone und Bewohnern von Ostberlin zu verhindern.« Er erklärte, dieser Schritt sei »offensichtlich eine Folge des gewachsenen Flüchtlingsstroms mit damit verbundenem wirtschaftlichem Verlust für DDR und Prestigeverlust für sozialistisches Lager«.
    Lightner telegrafierte erst um 22:00 Uhr wieder, als er den Wissensstand der Mission über die Ereignisse in den vergangenen vierundzwanzig Stunden zusammenfasste. Er unterstrich den massiven Militäreinsatz einschließlich einer starken Rückendeckung durch die Sowjets, der dafür »gedacht war, die Menschen von Anfang an einzuschüchtern und so im Keim jeden potenziellen Widerstand zu ersticken, [indem sie demonstrieren, dass] ziviler Ungehorsam rücksichtslos unterdrückt wird«.
    Er kam zu dem Schluss, dass die beträchtliche sowjetische Mobilmachung in ganz Ostdeutschland die Zweifel Moskaus an der Verlässlichkeit des ostdeutschen Militärs enthülle. Allerdings wies er auch darauf hin, dass ostdeutsche Behörden es dem westlichen militärischen und zivilen Personal erlaubten, ungehindert nach Ostberlin ein- und auszureisen. Lightner berichtete, dass sich zwischen 10 und 16 Uhr am ersten Tag der Teilung der Stadt achthundert neue Flüchtlinge in Westberlin registriert hatten, die entweder schon am 12. August die Grenze passiert hatten oder »heute durch Kanäle und über Felder«. 46
    NÄHE POTSDAMER PLATZ, WESTBERLIN SONNTAG, 13. AUGUST 1961, 9:00 UHR
    Die Verwirrung unter den Westberlinern schlug im Laufe des Vormittags in Wut um. Der zwanzigjährige Westberliner Polizist Klaus-Detlef Brunzel, der neu in dem Beruf war, trat seinen Dienst am Potsdamer Platz an, der teils zum Ost- und teils zum Westsektor gehörte, und musste feststellen, wie dramatisch sich die Welt binnen weniger Stunden verändert hatte.
    Am Abend zuvor war er noch routinemäßig auf Streife gegangen, hatte Schmuggelware konfisziert und mit den Prostituierten geplaudert, die auf dem leeren, vom Krieg eingeebneten Platz herumlungerten, weil er bislang der ideale Punkt war, um Kundschaft aus beiden Teilen der Stadt anzulocken. Jetzt sah
er an ihrer Stelle nur DDR-Grenzpolizisten mit Presslufthämmern Löcher für Betonpfeiler in den Asphalt bohren, anschließend zogen sie Stacheldraht auf. Brunzel war bei Kriegsende erst vier Jahre alt gewesen, aber er hatte Angst, ein neuer Krieg sei ausgebrochen, als er beobachtete, dass ostdeutsche Panzer ihn mit ihren Kanonenrohren verfolgten, während er vor ihnen auf und ab ging.
    Am späten Vormittag hatte sich eine Menge wütender Westberliner an der Grenze versammelt; sie warf Steine auf die Vopos und schimpfte sie Schweine und Nazis. Brunzel ging in Deckung, um nicht von Steinen getroffen zu werden, die sein eigenes Volk warf. 47
    Nicht lange danach wandte sich die Wut der Westberliner gegen die abwesenden US-Soldaten, ihre Beschützer, die sie in ihren Augen vor diesem Schicksal hätten bewahren müssen. All die schönen Worte von dem amerikanischen Engagement für

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