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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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Demarkationslinie.
    Peters befand sich zwar im Französischen Sektor, doch alle französischen Soldaten lagen friedlich im Bett. Nur er, ein einsamer Westberliner Polizeibeamter, beobachtete eine tadellos funktionierende Operation. Er sah zu, wie der Feind die Straße so still und problemlos abriegelte, dass kein einziger Anwohner der Strelitzer Straße auch nur das Licht anmachte.
    Sobald die Grenzlinie gesichert war, drehten die ostdeutschen Soldaten ihre Gewehre nach Osten, bereit, ihr eigenes Volk einzudämmen. Peters alarmierte seine Vorgesetzten über das, was er beobachtet hatte. 42

    Bild 57
    13. August: Die Grenze wird geschlossen. Ostdeutsche Soldaten und Polizisten riegeln den Sektorenübergang am Brandenburger Tor ab.

    US-MISSION, WESTBERLIN
SONNTAG, 13. AUGUST 1961, 2:00 UHR
    Nach Eingang der ersten Meldungen von der Grenzschließung gegen 2 Uhr morgens zögerte der höchste amerikanische Regierungsvertreter in Berlin, E. Allan Lightner jun., seine Vorgesetzten zu wecken. Washington neigte zu Überreaktionen, und Lightner wollte auf Nummer sicher gehen, bevor er etwas meldete. Außerdem war es Sommer und Wochenende, und seine Vorgesetzten wären über einen unnötigen Weckruf umso ungehaltener.
    Zwischen hohen Vertretern der amerikanischen, britischen und französischen Missionen in Westberlin liefen bereits die Telefone heiß, während sie versuchten, Schritt für Schritt herauszufinden, was das zu bedeuten hatte. »In Ostberlin scheint etwas vorzugehen«, sagte Lightner mit einiger Untertreibung zu dem Diplomaten William Richard Smyser, der im Ressort für östliche Angelegenheiten arbeitete. Sie sollten doch die Sache überprüfen.
    Kurz nach 3 Uhr morgens fuhr Smyser mit seinem Kollegen Frank Trinka in seinem Mercedes 190 SL zum Potsdamer Platz, wo Vopos und Betriebskampfgruppen die ersten Rollen Stacheldraht abwickelten. Als sie den Amerikanern sagten, dass sie nicht passieren dürften, protestierte Smyser energisch: »Wir sind Vertreter der amerikanischen Streitkräfte. Ihr habt nicht das Recht, uns aufzuhalten.« 43
    Das war der erste Test, ob die Sowjets und ihre ostdeutschen Vasallen gegen das Recht der Alliierten auf Bewegungsfreiheit in Berlin verstoßen würden – potenziell der Auslöser für eine militärische Antwort seitens der USA. Nach Rücksprache mit Vorgesetzten per Funk rollten die ostdeutschen Polizisten den Stacheldraht zur Seite und ließen die Diplomaten passieren. Sie hielten jeden einfachen ostdeutschen Bürger in jener Nacht an, aber die Polizei hatte klare Anweisungen, die Bewegungen alliierter Vertreter nicht zu behindern. Chruschtschows Entschluss, sich an die von Kennedy vorgegebenen Richtlinien zu halten, war damit in die Praxis umgesetzt.
    Auf ihrer einstündigen Fahrt durch Ostberlin sahen Smyser und Trinka eine Stadt voller hektischer Polizeiaktivität und menschlicher Verzweiflung. Entlang der gesamten Grenze luden Vopos Betonpfeiler und Stacheldraht ab und blockierten sämtliche Straßen, die von Ost nach West führten. Am Bahnhof Friedrichstraße riegelten bewaffnete Polizisten die schwach erleuchteten Bahnsteige ab, während leidgeprüfte Reisende in der Bahnhofshalle auf ihren Koffern saßen. Viele ließen den Tränen freien Lauf. Smyser konnte sich denken,
was in ihren Köpfen vor sich ging, als er ihre Gesichter sah: »Mein Gott, wären wir doch vierundzwanzig Stunden früher gefahren.« 44
    Kinder wurden von ihren Eltern getrennt, Liebespaare und Freunde auseinandergerissen. Einer von Rudi Thurows Leuten hatte sich so sehr dafür geschämt, dass er die Menschen daran hinderte, so wie bisher weiterzuleben, dass der Grenzpolizist am selben Morgen über den Stacheldraht in die Freiheit gesprungen war.
    Smyser und Trinka fuhren über das Brandenburger Tor zurück nach West-berlin. Wiederum wurden sie nach einer kurzen Verzögerung von einem DDR-Polizisten durchgelassen, nachdem er von einem hohen Parteifunktionär die Erlaubnis erhalten hatte. Der Parteifunktionär hatte die Aufsicht über die Kreuzung.
    Die Diplomaten hatten ein so unvollständiges Bild erhalten, dass die amerikanische Mission beschloss, keinen ausführlichen Bericht nach Washington zu schicken, weil die Krise im Grunde erst begann. Lightners Team kam zu dem Schluss, dass sie weder über die nötigen Ressourcen noch über genügend Personal verfügten, um es mit den Meldungen der Nachrichtenagenturen über die sensationelle Story aufzunehmen. Wegen des bürokratischen Aufwands im

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