Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Amerikaner aus Laramie, Wyoming. Watson schätzte ihn als einen Mann, der seine Sache ordentlich machte.
Vor nur vier Tagen hatte »Von« während der regulären Sitzung des sogenannten Berlin Watch Comittee vorhergesagt, dass Ulbricht eine Mauer errichten werde. Das Komitee war ein behördenübergreifendes Geheimdienstorgan in der Stadt, dessen Aufgabe es war, bei den ersten Anzeichen feindlicher Militäraktionen Alarm zu schlagen. Auch wenn damals niemand seine Äußerung groß beachtete, verlieh sie »Von« nunmehr eine hohe Glaubwürdigkeit bei seinem Kommandeur. 51
Oberstleutnant Thomas McCord, der Chef der 513. Einheit des Militärgeheimdienstes in Berlin, hatte eine Reihe von Aufnahmen und Berichten über große Mengen von Baumaterial (Betonblöcken, Stacheldraht und dergleichen) sorgfältig studiert, die in der Nähe der Demarkationslinie der Stadt gelagert worden waren. Aber das Material war auf so viele Orte verteilt und von so vielen Quellen bestellt worden, dass seine Leute nicht recht wussten, wie sie das, was sie sahen, deuten sollten.
»Glauben Sie, dass sie eine Mauer bauen wollen, Tom?«, hatte Oberst David Goodwin, der Leiter der Aufklärung in General Watsons Stab, auf der Sitzung gefragt. McCord hatte geantwortet, dass er drei Quellen habe und diese sich widersprächen. Ein »zuverlässiger«, aber nicht überprüfter Informant sagte, dass eine Mauer gebaut werde und der Bau »unmittelbar« bevorstehe. Aber zwei Informanten, die als weniger zuverlässig eingestuft wurden, hatten gesagt, dass nichts dergleichen geschehen werde. 52
Dann wandten sich alle Augen von Pawel zu. Er erinnerte das Komitee daran, dass die Deutschen im Zweiten Weltkrieg eine Mauer in Warschau gebaut hätten, um das jüdische Ghetto abzuriegeln – ein Vergleich, der damals ziemlich abwegig schien. »Wenn Sie meinen, dass eine Mauer die am wenigsten denkbare Option ist, dann wette ich gerade darauf, weil wir die Sowjets noch nie überlistet haben.« Das Problem war, dass von Pawel zu diesem Zeitpunkt keine handfesten Beweise hatte, um seine Überzeugung zu untermauern. 53
Der stellvertretende Chef der CIA-Station John Dimmer verwarf verächtlich von Pawels Auffassung. Es wäre »politischer Selbstmord« für Walter Ulbricht, eine Mauer zu bauen, hatte er gesagt, und damit gelangte das ganze Gremium zu dem Schluss, dass eine Mauer die »unwahrscheinlichste« Option der vielen Szenarien sei, über die sie sprachen. 54
Von Pawels Bericht am Morgen des 13. August ließ keinen Zweifel daran, was an der Grenze vorging. Von seinem Versteck unter einer Brücke in der DDR aus hatte einer seiner Männer von 4 bis 6 Uhr beobachtet, wie eine ganze sowjetische Division über die Autobahn rollte. »Von« hatte selbst auf dem Weg nach Potsdam gut hundert Panzer gezählt. Er meldete Watson:
Die sowjetische 19. Motorisierte Schützendivision, gemeinsam mit der 10. Gardepanzerdivision und möglicherweise der 6. Motorisierten Schützendivision, rückte früh an diesem Morgen aus und ging rings um Berlin in Stellung. Teile der 1. Motorisierten Schützendivision der ostdeutschen Armee rückten aus Potsdam aus und haben derzeit noch keinen Standort. Sowjetische Einheiten schwärmten aus und verließen die Autobahn, indem sie Einheiten als kleine Vorposten und Straßensperren aus drei oder vier Panzern, einem gepanzerten Mannschaftstransporter und etlichen Soldaten aufstellten. Diese Vorposten wurden im Abstand von 3 oder 4 Kilometern errichtet und kreisen allem Anschein nach Berlin völlig ein. 55
Es war eine groß angelegte und perfekt organisierte Operation, über die der amerikanische Militärgeheimdienst im Voraus nichts gemeldet hatte. Watson legte von Pawels Bericht so aus, dass sowjetische Soldaten bereitstanden, in so großer Zahl loszuschlagen, dass sie seine armselige Truppe hinwegfegen würden, falls sie es wagten zu antworten.
Erst um 10 Uhr morgens trafen sich die drei westlichen Befehlshaber (der französische, der britische und der amerikanische) und ihre Stäbe in dem alliierten Hauptquartier im Villenvorort Dahlem im amerikanischen Sektor. Sie waren alle völlig überrumpelt worden – und kein Einziger wusste, wie man am besten darauf reagieren sollte. Wegen der monatlichen Rotation leitete durch Zufall Watson die Sitzung. Aber bei aller Unerfahrenheit Watsons in Berliner Angelegenheiten konnte er immerhin zählen. Mit seinen 27 Panzern, nicht einmal einer je 2 Kilometer der inneren Grenze zwischen West- und Ostberlin,
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