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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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zu Kämpfen kommen sollte, hatte er seine Zweifel, ob die ostdeutschen Soldaten und Polizisten, ungeachtet ihrer Ausbildung, Indoktrinierung und sorgfältigen Überwachung, loyal geblieben wären. Hunderte aus ihren Reihen waren bereits geflohen, und viele hatten Verwandte im Westen.
    Konew war sich sicher, dass die ostdeutschen Soldaten, Kampfgruppen und Polizisten die Grenzsperren korrekt errichten würden, aber er konnte ihre Reaktion nicht einschätzen, falls alliierte Truppen vorgerückt wären, um die Barrikaden einzureißen und die Bewegungsfreiheit wiederherzustellen.
    Zu seiner großen Erleichterung kam es nicht dazu. Kennedy hatte sie nie auf die Probe gestellt.
    WESTBERLIN
SONNTAGMORGEN, 13. AUGUST 1961
    Spät in der Nacht hörte RIAS-Rundfunkdirektor Robert H. Lochner zum ersten Mal von der Grenzschließung. Er bereitete gerade eine Reihe von Treffen am nächsten Morgen für seinen Boss, den legendären Fernsehreporter Edward R. Murrow, vor. Murrow kam in seiner Funktion als Chef des United States Information Service aus Washington zu einer Inspektionsreise nach Berlin.
    Lochner brach seine Arbeit ab und ordnete an, dass der RIAS das Programm für das Wochenende mit den üblichen Rock-and-Roll-Sendungen änderte und stattdessen ernstere Musik und jede Viertelstunde Nachrichtensendungen ausstrahlte. Er wusste, dass man vom RIAS, dem Sender mit der größten Reichweite in ganz Europa, erwartete, dass er den Ostberlinern in einer Krise, genau wie am 17. Juni 1953, eine Art Rettungsleine bot. 58

    Bild 44
    Ein Westdeutscher stellt sich auf ein Auto, um über die Mauer zu winken.
    Dann fuhr er in seinem Wagen mit Kennzeichen des US-Außenministeriums nach Ostberlin – er machte den ganzen Tag über drei Ausflüge in die Sowjetzone. Was er zu sehen bekam, sprach er direkt in einen versteckten Kassettenrecorder. Er erzählte Geschichten von zerrissenen Familien und verzweifelten Liebespaaren und verwendete ihre mitgeschnittenen zitternden Stimmen, um die dramatische Wirkung noch zu steigern. Lochner hatte noch nie eine so große Gruppe verzweifelter Menschen gesehen wie jene, die sich an diesem Morgen vor geschlossenen Bahnstationen versammelten. Die nächtlichen Rundfunkmeldungen, dass die Berliner Grenze geschlossen worden sei, hatten sie entweder nicht gehört oder nicht geglaubt.
    Um 10 Uhr ging er durch den riesigen Wartesaal des Bahnhofs Friedrichstraße, in dem sich Tausende von Menschen »mit verzweifelten Gesichtern, Pappkartons oder Koffern« drängten. Sie saßen auf gepackten Taschen und konnten nirgendwohin.
    Auf einer Treppe, die zu den erhöhten S-Bahn-Gleisen führte, standen
Trapos (Transportpolizisten) und blockierten den Zugang. Mit ihren bedrohlichen Uniformen und ihrem versteinerten, willfährigen Gesichtsausdruck erinnerten sie Lochner an Hitlers SS.
    Eine alte Frau näherte sich schüchtern einem der Trapos, der etwa drei Stufen über ihr stand, und fragte, wann denn der nächste Zug nach Westberlin fahre. Den höhnischen Ton des Beamten würde Lochner nie vergessen:
    »Damit ist es vorbei«, sagte er. »Ihr sitzt jetzt alle in der Falle.« 59
    Einen Tag später zeigte Lochner seinem Chef Murrow das neue Ostberlin. Murrow bezweifelte, ob sein Freund Kennedy sich des Ernstes der Lage bewusst war, die er durch seine Untätigkeit heraufbeschworen hatte. Noch am selben Abend schrieb er dem US-Präsidenten ein Telegramm, in dem er ihm mitteilte, dass ihm eine politische und diplomatische Katastrophe drohe. Wenn er nicht rasch Entschlossenheit demonstriere, sagte Murrow eine Vertrauenskrise voraus, die die Vereinigten Staaten bis weit über die Grenzen Berlins hinaus schwächen könnte. »Was hier zerstört zu werden droht, ist die leicht verderbliche Ware Hoffnung«, schrieb er. 60
    POLIZEIHAUPTQUARTIER, OSTBERLIN
SONNTAG, 13. AUGUST 1961, 6:00 UHR
    Erich Honecker war die ganze Nacht über regelrecht aufgedreht gewesen, fuhr an der Grenze auf und ab und genoss sichtlich die fast perfekte Ausführung seines Plans.
    Er überwachte jede Kleinigkeit: Er sah Polizisten, die Zugangsschächte zur Kanalisation nach potenziellen Flüchtlingen untersuchten. Boote patrouillierten auf den Wasserwegen, die nicht ohne weiteres geschlossen werden konnten wie Straßen. Es hatte sich herausgestellt, dass die zusätzlichen Einheiten, die er für den Bahnhof Friedrichstraße angeordnet hatte, für den erwarteten Andrang am Sonntag ausreichten.
    Honecker hatte jeden Offizier, dem er in der Nacht begegnete,

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