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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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die Freiheit Berlins hatten keine einzige amerikanische Schützenkompanie auf die Bildfläche gerufen. 48
    MILITÄRHAUPTQUARTIER DER US ARMY, CLAYALLEE, WESTBERLIN
SONNTAGMORGEN, 13. AUGUST 1961
    General Watson, der amerikanische Befehlshaber in Berlin, hatte sich durch seine Vorgesetzten und seine Anweisungen wie gelähmt gefühlt. Außerdem hatte er an seinem eigenen Urteilsvermögen gezweifelt, da er erst seit drei Monaten in Berlin war.
    Er hatte Berlin für einen so ruhigen Ort gehalten, dass er seine Schwiegermutter in die Stadt geholt hatte. Er verglich die Rolle der geteilten Stadt bei dem amerikanisch-sowjetischen Patt mit der »Ruhe im Auge eines Sturms«. Bislang hatte er sich in Berlin weniger mit den potenziellen militärischen Reaktionen befasst als mit dem Erlernen der deutschen Sprache, dem Reduzieren seines Golfhandicaps und dem »Seniorendoppel«, wie er es nannte, im Tennis mit seiner Frau. 49
    In einem Profil des zweiundfünfzigjährigen Befehlshabers schrieb die Berliner Presse von seiner Vorliebe für Reiten, Bridge, leichte Opern und Taschenbuchkrimis. Watson blieb es überlassen, ein Kommando zu führen, bei dem der Gegner so haushoch überlegen war, dass er genau wusste, dass es unmöglich war, Westberlin gegen einen konzentrierten konventionellen Angriff der Sowjetarmee zu verteidigen. Aber selbst wenn ihm die entsprechende Truppenzahl
zur Verfügung gestanden hätte, hätte er nicht ausreichend Befehlsgewalt gehabt, sie einzusetzen.
    Der Amtsschimmel, ohne den in Berlin nichts ging, zählte zu den schlimmsten Erfahrungen Watsons in seiner militärischen Laufbahn, und das wollte etwas heißen. Zum einen war er direkt dem US-Botschafter Walter Dowling unterstellt, der seinen Sitz knapp 500 Kilometer entfernt in Bonn hatte. Außerdem unterstand er General Bruce Clarke, dem Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa, mit dem Hauptquartier in Heidelberg. Schließlich gab es eine dritte Befehlskette zum NATO-Befehlshaber General Lauris Norstad in Paris. Watson erhielt von allen dreien Befehle, und in den seltensten Fällen stimmten sie überein.
    Es gab auch Phasen wie die Nacht vom 12. auf den 13. August und den folgenden Morgen, in denen alle drei Kanäle praktisch verstummten. In solchen Phasen des Zweifels sagte Watson sein Instinkt, dass es am besten sei, standhaft zu bleiben und das Beste zu hoffen. Seit Wochen enthielten seine Instruktionen aus dem Pentagon meist Warnungen, dass er sich keinesfalls von den Ostdeutschen oder Sowjets zu einer Militäraktion provozieren lassen dürfe, die zu einem gewaltsamen Konflikt eskalieren könnte – als ob seine Vorgesetzten geahnt hätten, was kommen würde. Also ging Watson in den frühen Morgenstunden des 13. August auf Nummer sicher und unternahm nichts, außer das Geschehen zu beobachten.
    Die Ostdeutschen hatten keine einzige seiner Grenzlinien überschritten. Sie hatten keinen Fuß in eine nichtsowjetische, alliierte Zone gesetzt. Und bei aller sowjetischen militärischen Aktivität um die Stadt hatten seine Kundschafter keine größeren Bewegungen innerhalb Berlins gemeldet. Also sah Watson keinen Anlass, General Clarke oder General Norstad zu wecken. Die Leute im US-Außenministerium würden Botschafter Dowling in Bonn alarmieren, deshalb setzte sich Watson auch mit ihm nicht in Verbindung. 50
    In aller Frühe hatte Watson einen Hubschrauber in den Luftraum über Ostberlin geschickt, um sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Aber er entschied sich gegen die Entsendung amerikanischer Truppen an die seit neuestem verstärkte Grenze. Eine Machtdemonstration der USA hätte vielleicht die Berliner zufriedengestellt, die sich einen rechtzeitigen Beweis des amerikanischen Engagements gewünscht hätten, aber Watsons Vorgesetzte hätten dies für eine leichtfertige Provokation gehalten.
    Watson fühlte sich bestätigt in seiner Haltung, so große Zurückhaltung an den Tag zu legen, als um 7:30 Uhr Oberst Ernest von Pawel in der Einsatzzentrale
im Untergeschoss des Hauptquartiers an der Clayallee Bericht erstattete. Von Pawel sagte zu Watson, dass vier sowjetische Divisionen aus ihren Kasernen in der DDR ausgerückt seien und Berlin umstellt hätten.
    Mit seinen sechsundvierzig Jahren war »Von«, wie er genannt wurde, der wichtige Chef der US-Verbindungsmission beim Oberkommandierenden der sowjetischen Streitkräfte mit ihrem Hauptquartier in Potsdam. Obwohl sein Name nach altem deutschen Adel klang, war »Von« ein waschechter

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