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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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ausdrücklich gelobt und hier und da Änderungen in kleinen Details vorgeschlagen. Um 4 Uhr war er in sein Büro zurückgekehrt, zufrieden, dass die kritischste Phase reibungslos geklappt hatte. Um 6 Uhr hatten bereits alle Offiziere gemeldet, dass sie ihren Auftrag befehlsgemäß ausgeführt hätten.
    In den kommenden Tagen gab es noch viel zu tun, um die Sache zu Ende
zu bringen, aber Honecker hätte mit dem bisherigen Verlauf nicht zufriedener sein können. Ein paar Hundert Ostberliner waren an Stellen über die Grenze gerannt, die man nicht verstärkt hatte; einige waren durch Seen oder Kanäle geschwommen, und andere waren einfach im Westen geblieben, wo sie mit etwas Glück das Wochenende verbracht hatten. Ein paar Westberliner schmuggelten in den ersten Stunden ihre Lebenspartner oder Freunde im Kofferraum oder unter den Autositzen über die Grenze. Einige besonders findige Ostberliner hatten ihr Autokennzeichen einfach durch die Kennzeichen Westberliner Freunde ersetzt und waren durchgefahren.
    Von Samstagmittag bis 16:00 Uhr am Montag verzeichnete Marienfelde die Rekordzahl von 6904 Flüchtlingen, die höchste Zahl an einem Wochenende in der ganzen Geschichte der DDR. Westberliner Behörden schätzten jedoch, dass bis auf etwa 1500 Personen alle noch vor der Schließung durch kommunistische Sicherheitskräfte die Grenze passiert hatten. Eine durchaus erträgliche Zahl, wenn man bedenkt, dass der Flüchtlingsstrom nun endlich gestoppt war. 61
    Honecker rief Ulbricht an und erstattete ihm ein letztes Mal Bericht. Dann sagte er zu seinen Leuten: »Jetzt können wir alle gehen.« 62
    Chruschtschow sinnierte später: »Die Errichtung der Grenzkontrolle brachte Ordnung und Disziplin in das Leben der Ostdeutschen, und Disziplin haben die Deutschen von jeher geschätzt.« 63

KAPITEL 15
Die Mauer: Tage der Verzweiflung
    Warum hätte Chruschtschow eine Mauer bauen lassen sollen,
wenn er wirklich die Absicht hätte, Westberlin einzunehmen? […]
Das ist sein Ausweg aus einer Zwangslage. Es ist keine besonders angenehme
Lösung, aber eine Mauer ist verdammt viel besser als ein Krieg.
    US-PRÄSIDENT JOHN F. KENNEDY, 13. AUGUST 1961 1
     
    Die Russen […] haben stark den Eindruck, dass wir, wenn sie unseren Willen in Berlin brechen können, außerstande sein werden, noch etwas Positives zustande zu bringen, und sie die Schlacht im Jahr 1961 gewonnen haben werden.
    US-JUSTIZMINISTER ROBERT KENNEDY, 30. AUGUST 1961 2
    TELTOWKANAL, OSTBERLIN
DONNERSTAG, 24. AUGUST 1961
    Der vierundzwanzigjährige Schneider Günter Litfin, der bislang seine kühnsten Taten mit Nadel und Faden vollbracht hatte, nahm elf Tage nach der Schließung der Grenze seinen ganzen Mut zusammen und flüchtete aus Ostberlin.
    Bis zum 13. August hatte Litfin das ideale Leben im geteilten Berlin geführt: Als einer der gut 50 000 Grenzgänger der Stadt hatte er die Vorzüge beider Seiten optimal genutzt. Tagsüber arbeitete er in Westberlin und verdiente harte Westmark, wie man sagte, die er auf dem Schwarzmarkt zu einem Wechselkurs von fünf zu eins gegen Ostmark tauschte. Er arbeitete in einem Atelier in der Nähe des Westberliner Bahnhofs Zoo, wo selbst Prominente aus der Film- und Theaterbranche zu seinen Kunden zählten: Heinz Rühmann, Ilse Werner und Grethe Weiser. Vor allem Schauspielerinnen fühlten sich von seiner knabenhaften Art, den dunklen Augen und den schwarzen Locken angezogen.
Abends kehrte er in eine komfortable Wohnung im Ostberliner Bezirk Weißensee heim, die er preiswert gemietet hatte.
    Über Nacht wurde Litfins traumhaftes Leben allerdings zu einem Albtraum. Wegen der Grenzschließung konnte er nicht mehr nach Westberlin fahren, verlor seinen Job und seine gesellschaftliche Stellung. Damit nicht genug, im Zuge eines ostdeutschen Arbeitsvermittlungsverfahrens drohte Litfin ein öder Job in einer Textilfabrik mit längeren Arbeitszeiten und einem Bruchteil seines bisherigen Lohns.
    Litfin hätte sich selbst ohrfeigen können, weil er nicht nach Westberlin umgezogen war, als er noch die Gelegenheit dazu hatte. Ein paar Tage vor der Grenzschließung hatte er eine Einzimmerwohnung im Westberliner Bezirk Charlottenburg in der Suarezstraße gemietet. Gemeinsam mit seinem Bruder hatte er nach und nach in kleinen Fuhren seinen ganzen Haushalt in die Wohnung gebracht. Um keinen Verdacht zu erregen, hatten sie zwei Autos benutzt. Seinen wertvollsten Besitz, die moderne Nähmaschine, hatten sie bereits herausgeschmuggelt: Sie hatten sie

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