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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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mit der Angelegenheit hätten umgehen sollen?« Die Angelegenheit sollte den Präsidenten umso stärker in Anspruch nehmen, je länger der 13. August zurücklag und je klarer er erkannte, dass die Schließung der Grenze sein Verhältnis zu Chruschtschow nicht gerade entspannte. 31

    DER KREML, MOSKAU
MITTE AUGUST 1961
    Chruschtschow beglückwünschte sich selbst dazu, dass er die Amerikaner, die Briten und die Franzosen ohne einen militärischen Konflikt, politischen Rückschlag oder auch nur die geringsten Wirtschaftssanktionen übertölpelt hatte.
    Sein Sohn Sergej sah ihn anfangs nach dem 13. August erleichtert aufseufzen und im Laufe der Zeit in immer besserer Stimmung, je mehr der Parteichef über das Erreichte nachdachte. Hätte Chruschtschow nicht gehandelt, so hätte sich der sowjetische Block mit dem Zusammenbruch des westlichsten Vorpostens womöglich allmählich aufgelöst. Solange der Flüchtlingsstrom in Berlin anhielt, hätten seine Gegner auf dem Parteitag vermutlich seinen Kopf gefordert, aufgehetzt von Mao.
    Später dachte Chruschtschow auch darüber nach, dass vermutlich »ein Krieg ausgebrochen wäre«, wenn er sich verrechnet hätte. 32 Er hatte Kennedys Signale richtig gedeutet, die ihm gewissermaßen einen Wegweiser für seine Vorgehensweise lieferten. Kennedy hatte einzig und allein das Interesse bekundet, den Status Westberlins und den Zugang zu der Stadt zu bewahren, den Chruschtschow wohlweislich nicht angerührt hatte. Er war zuversichtlich gewesen, dass Kennedy nichts unternehmen würde, um die Ostdeutschen zu befreien oder anzufechten, was immer die Sowjets in ihrer eigenen Zone unternahmen.
    Chruschtschow war der Meinung, dass er sogar noch mehr erreicht hatte, als er sich von einem Friedensvertrag hätte erhoffen können. In einem Friedensvertrag hätte Kennedy ihn gezwungen, einen Passus zu akzeptieren, in dem er die Notwendigkeit einer deutschen Wiedervereinigung im Laufe der Zeit durch freie Wahlen anerkannte. Jetzt hatte er allen Grund zu der Hoffnung, dass das westliche Engagement für die Stadt allmählich nachlassen werde, genau wie die Moral der Westberliner, die sich womöglich dazu entschlossen, scharenweise die Stadt zu verlassen, weil sie zweifelten, dass die Alliierten weiterhin ihre Freiheiten und Verbindung zur Bundesrepublik verteidigen würden. 33
    In Chruschtschows Augen waren die Gespräche in Wien zweifellos »eine Niederlage« für Kennedy gewesen. Der Kreml hatte beschlossen zu handeln, und der amerikanische Präsident »konnte — außer einer militärischen Aktion — nichts tun, um uns aufzuhalten. Kennedy war intelligent genug zu erkennen, dass ein militärischer Konflikt sinnlos wäre. Deshalb blieb den Vereinigten Staaten und ihren westlichen Verbündeten nichts anderes übrig, als
eine bittere Pille zu schlucken, während wir gewisse unilaterale Maßnahmen in die Wege leiteten.«
    In einem Tribut an den Nationalsport seines Landes bezeichnete sich Chruschtschow selbst als erfahrenen Schachspieler. Als die Vereinigten Staaten in Berlin den militärischen Druck erhöhten, brachte er Marschall Konew ins Spiel. »Um es in der Sprache des Schachs auszudrücken«, sagte er: »Die Amerikaner hatten einen Bauern vorgerückt, also schützten wir unsere Stellung, indem wir einen Springer zogen.« Chruschtschow gefiel diese Wendung außerordentlich, weil sie auch ein Wortspiel enthielt. Das russische Wort für den Springer im Schach heißt nämlich »konj« oder Pferd, und das ist zugleich die Wurzel von Konews Familiennamen. Der Bauer bezog sich auf die spätere Entscheidung Kennedys, General Clay nach Berlin zu schicken.
    Der Parteisekretär gab Kennedy mit seinem Vorgehen, wie er sagte, Folgendes zu verstehen: »Wenn Sie unbedingt das Kriegsbeil gegen uns ausgraben und uns in unseren Absichten behindern wollen, dann sind wir bereit, Ihnen nach Ihren eigenen Bedingungen entgegenzutreten.« 34
    In Wien hatte der US-Präsident, wie Chruschtschow sich erinnerte, argumentiert, dass es nach dem Potsdamer Abkommen lediglich einen deutschen Staat gebe, der in einem Friedensvertrag anerkannt werden müsse. Nunmehr hatten die Sowjets jedoch auf die dramatischste Weise, die man sich nur vorstellen konnte, eine faktische Anerkennung der beiden deutschen Staaten durch den Westen herbeigeführt. Aber Chruschtschow war noch nicht fertig. Den ganzen August hindurch verstärkte der sowjetische Ministerpräsident, angespornt von Kennedys Untätigkeit, die ostdeutschen

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