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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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Geheimdiensterkenntnisse hatte Kennedy zu dem falschen Vorwurf an Eisenhower verleitet, er habe es zugelassen, dass eine »Raketenlücke« zu Moskaus Gunsten entstanden sei. Paradoxerweise argumentierte Kennedy jetzt damit, dass die USA ihre Karten aufdecken müssten, um ihre eigene Sicherheit zu gewährleisten. Nicht ganz zufällig war dies auch ein geschickter politischer Schachzug.
    Kennedy fürchtete, dass er in den Augen Moskaus, der Verbündeten und der Amerikaner schwach aussehen könnte, obwohl er doch in Wahrheit stark genug war, um die Sowjetunion oder jedes andere Land in jeder militärischen Auseinandersetzung zu besiegen. Da er es für zu säbelrasselnd hielt, diese Botschaft selbst zu verkünden, wählte er für diese Aufgabe den stellvertretenden Außenminister, Roswell Gilpatric, aus, der am 21. Oktober vor der Wirtschaftsvereinigung in Hot Springs, Virginia, einen Vortrag halten sollte.
    Es war also ein recht ungewöhnliches Publikum für einen solch bedeutsamen Anlass, aber den Übermittler der Botschaft hatte Kennedy perfekt ausgewählt. 38 Gilpatric war ein persönlicher Freund von Jacqueline Kennedy, die ihn einmal den »zweitattraktivsten Mann im Pentagon« nach McNamara genannt hatte. Kennedy mochte und vertraute dem feschen Wall-Street-Anwalt mit Yale-Abschluss. Ein junger Pentagon-Stratege namens Daniel Ellsberg hatte die Rede entworfen, aber der Präsident selbst hatte sie zusammen mit Bundy, Rusk und McNamara überarbeitet.

    Da Ellsberg nichts vom Verbindungsmann zum Kreml, Bolschakow, oder vom persönlichen Briefwechsel mit Chruschtschow wusste, hatte er Kaysen gefragt, ob es nicht besser sei, dem Sowjetführer eine persönlichere Botschaft über die militärische Überlegenheit der USA zu schicken. 39 Warum so viel Aufhebens machen? Könnte ihm Kennedy nicht einfach die Koordinaten der sowjetischen Rampen für die Interkontinentalraketen schicken und vielleicht noch die Kopien einiger Satellitenfotos beilegen?
    Er hatte dabei jedoch Kennedys Wunsch nach einer öffentlichen Reaktion, die dem heimischen und westeuropäischen Publikum neue Zuversicht einflößen sollte, außer Acht gelassen. Sprecher des Weißen Hauses luden die Topjournalisten der Nation nach Hot Springs ein und teilten ihnen schon zuvor die nötigen Informationen mit, damit sie die Bedeutung der Rede richtig einschätzen konnten. Zum Einstieg meinte Gilpatric: »Berlin ist im Augenblick der Krisenherd, weil die Sowjets sich entschieden haben, es zu einem solchen zu machen.« Er fuhr dann fort:
    Wir haben zusammen mit unseren westlichen Verbündeten darauf reagiert, indem wir unsere Garnisonen in dieser belagerten Stadt verstärkt haben. Wir haben etwa 150 000 Reservisten einberufen, die Einberufungen zum Grundwehrdienst erhöht und die Dienstzeit vieler unserer Soldaten verlängert. […]
    Aber unsere wirkliche Stärke in Berlin und an jedem anderen Ort im Verteidigungsraum der freien Welt, der kommunistische Angriffe herausfordern könnte, beruht auf viel breiteren Grundlagen. Unser Vertrauen in unsere Fähigkeit, kommunistische Aktionen abzuschrecken oder uns kommunistischen Erpressungsversuchen zu widersetzen, gründet auf einer nüchternen Einschätzung der relativen militärischen Macht der beiden Seiten. Tatsächlich verfügt unsere Nation über derartig todbringende Mittel für einen nuklearen Vergeltungsschlag, dass jeder Schritt des Feindes, der sie ins Spiel bringen würde, einem Selbstmord gleichkäme. 40
    Gilpatric offenbarte dann bisher geheim gehaltene Einzelheiten über die Stärke der amerikanischen strategischen Einheiten, die aus Hunderten von Langstreckenbombern, einschließlich 600 schwerer Bomber, bestünden, die mithilfe hochentwickelter Nachtanktechniken die gesamte Sowjetunion verwüsten könnten. Er sprach von den landgestützten Interkontinentalraketen und den Polaris-Raketen auf U-Booten. »Unsere Trägerraketen und mobilen Landstreitkräfte
können noch einmal mehrere Megatonnen abfeuern. Insgesamt beläuft sich die Zahl unserer taktischen und strategischen Feuersysteme auf mehrere Zehntausend«, und natürlich habe man für jedes System mehr als einen Sprengkopf.
    »Unsere Streitkräfte sind so aufgestellt und geschützt, dass auch ein Überraschungsangriff uns nicht entscheidend entwaffnen könnte«, sagte er. Selbst nach einem russischen Erstschlag sei das amerikanische Zerstörungspotenzial immer noch größer, als es die Präventivschlagkapazität der Russen vorher gewesen sei. Außerdem

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