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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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auftreten
sollte. 3 Sie hatten über diese Veranstaltung in der Lokalzeitung gelesen. Nach zwei Monaten und neun Tagen ununterbrochenen Drucks nach der Grenzschließung schien es eine willkommene Abwechslung zu sein.
    Es war ein frischer Herbstabend im eleganten Westberliner Bezirk Dahlem, wo die Lightners in einer geräumigen Villa wohnten, die noch vor dem Krieg von einem hochrangigen Nazi konfisziert worden war. Ihre Nachbarn bereiteten sich bereits auf den Winter vor. Einige hatten den freien Tag dazu genutzt, das welke Laub der umstehenden Buchen und Eichen von ihrem Rasen zu rechen. Andere hatten ihre Daunenbetten hervorgeholt, um sie auf der Wäscheleine oder dem Balkon auszulüften.
    Obwohl Lightner vom Mauerbau überrascht worden war, hatte seine Karriere keinen Schaden erlitten. Kein Auslandsposten war angesehener als dieser direkt an der Nahtstelle des Kalten Kriegs. Wie viele Diplomatengattinnen dieser Zeit identifizierte sich Dorothy mit dem Amt ihres Mannes und seiner privilegierten Stellung. Ihr Hauspersonal hielt sie für übermäßig anspruchsvoll und fordernd. Die Lightners genossen von Anfang an ihre Ausflüge in den sowjetischen Sektor der Stadt, wo die besten und berühmtesten Künstler des Ostens auftraten. Seit dem 13. August hatten ihre Besuche jedoch auch eine größere symbolische Bedeutung angenommen. Ostberliner, die die Lightners erkannten, bedankten sich oft bei ihnen, dass sie auch unter diesen Umständen noch kamen.
    Lightner wusste, dass ihre Fahrt in den Ostteil der Stadt möglicherweise ereignisreicher als gewöhnlich verlaufen würde. 4 In dieser Woche hatte die Grenzpolizei der DDR damit begonnen, die Ausweise alliierter Zivilisten zu kontrollieren. Dieser Schritt war nicht nur eine Verletzung des Vier-Mächte-Status, sondern widersprach auch sowjetischen Anweisungen, deren letzte vom Verteidigungsminister Marschall Rodion Malinowski höchstpersönlich stammte, dass die DDR an den Grenzprozeduren ohne sowjetische Erlaubnis nichts ändern durfte.
    Offenbar hatte Ulbricht diesen Schritt von Moskau aus gebilligt, wo er gerade über den Inhalt der Chruschtschow-Rede auf dem XXII. Parteitag vor Wut schäumte. 5 Während Kennedy die Ansprache des Sowjetführers für zu säbelrasselnd gehalten hatte, war Ulbricht über Chruschtschows Entscheidung empört, den Dezembertermin für den Abschluss eines Friedensvertrags fallenzulassen. Nach Ulbrichts Ansicht hatte Chruschtschow nach alter Gewohnheit in der Berlin-Frage wieder einen schwankenden Kurs auf Kosten der DDR eingeschlagen. In seiner eigenen Parteitagsrede hatte Ulbricht drei Tage später
den Vertrag als eine »Aufgabe von höchster Dringlichkeit« bezeichnet. Ulbricht brauchte diesen Vertrag, um seinen Triumph vom August zu festigen, indem er seine Herrschaft über Ostberlin ausdehnte und gleichzeitig den Westteil der Stadt isolierte und entmutigte.
    Aber Worte hatten im Umgang mit Chruschtschow noch nie Wirkung gezeigt. Darum weitete Ulbricht von sich aus die Grenzkontrollen aus. Er nahm an, dass der Westen zwar protestieren, aber nichts dagegen unternehmen würde, nachdem er bereits die viel größere Demütigung durch den Mauerbau hingenommen hatte. Dabei unterschätzte der DDR-Parteichef jedoch die Entschlossenheit des neuesten US-Faktors in der geteilten Stadt: General Lucius D. Clay.
    Gemeinsam würden Ulbricht und Clay die erste Konfrontation zwischen den Supermächten hervorrufen, die ihre Herren in Moskau und Washington weder gewollt noch vorausgesehen hatten. Beide Seiten würden jedoch vermuten, dass die andere diesen Showdown absichtlich herbeigeführt habe.
    Von Clay ermutigt, hatte Lightner in dieser Woche die Mitglieder seiner US-Mission angewiesen, sich den neuen DDR-Grenzprozeduren zu widersetzen. 6 Er hatte seinen Mitarbeitern sogar ausdrücklich verboten, solche Kontrollen über sich ergehen zu lassen. Seine eigene Sekretärin hatte nur einen Tag zuvor lieber mit ihrem Auto kehrtgemacht, als ihren Ausweis vorzuzeigen. Lightner und Clay waren wütend, dass der britische Premierminister Macmillan die neuen Kontrollen ohne den geringsten Protest akzeptiert hatte. Sie hielten dies für einen weiteren Beweis der britischen Appeasement-Politik. Londons Befehle an die örtlichen Kommandanten waren eindeutig: Nachdem man sich bereits mit der Mauer abgefunden hatte, war dies kein Kampf, den auszufechten sich gelohnt hätte.
    Clay war da ganz anderer Ansicht. 7 Wenn Washington der DDR erlaube, weiterhin etwas gegen die

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