Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Rechte zu unternehmen, die die Westalliierten seit 1945 in dieser Stadt genössen, würden die Vereinigten Staaten seiner Meinung nach die bereits jetzt sehr geschwächte Westberliner Moral weiter untergraben und auch das, was von den alliierten Rechtspositionen noch übrig sei, aufs Spiel setzen. Angesichts der Gespräche, die er vor seiner Ankunft in Berlin in Washington geführt hatte, blieb Clay weiterhin zuversichtlich, dass Kennedy entschlossener war als seine Berater, in Berlin die Stellung zu halten. Allerdings witterten seine Gegner im Augenblick Morgenluft, da sie spürten, dass Clay bei Kennedy der Einfluss fehlte, den er früher unter Truman genossen hatte.
Aus diesem Grund boten die neuen Anmaßungen der DDR Clay eine dreifache Gelegenheit. Zum einen konnte er die neue Entschlossenheit der Vereinigten
Staaten in Berlin demonstrieren. Zum anderen konnte er das Selbstvertrauen und die Zuversicht der US-Truppen und der Westberliner stärken, und schließlich konnte er seinen Widersachern in Moskau und Washington beweisen, dass er doch mit Kennedys Unterstützung rechnen konnte.
Da gab es nur ein Problem. Clay selbst war sich nicht sicher, auf wessen Seite sein wankelmütiger Präsident tatsächlich stand.
Im Gegensatz zu Clay betrachtete sich Lightner selbst nicht als kalten Krieger, obwohl er das in Wirklichkeit war. 8 Der dreiundfünfzigjährige Princeton-Absolvent verspottete die typischen Intellektuellen aus den Eliteuniversitäten als »Salonbolschewisten«, die auf höchst naive Weise über das »große russische Experiment« des Kommunismus redeten und schrieben. Einmal hatte er gegenüber Dorothy geäußert, dass ein paar Monate in der Sowjetunion genügen würden, um diesen Leuten gründlich ihre Illusionen auszutreiben. Seine Ansichten beruhten teilweise auf eigener Erfahrung. Als junger Diplomat war er in der Sowjetunion stationiert gewesen, bis er 1941 mit den Unterlagen der Botschaft aus dem von der Wehrmacht bedrohten Moskau evakuiert worden war. Danach hatte er mit antikommunistischen Exilanten in Skandinavien zusammengearbeitet, in Londoner Luftschutzkellern neben unerschütterlichen Briten gesessen und an zahlreichen Nachkriegsabkommen mitgewirkt, denen zufolge allerdings zu seinem Bedauern ein Großteil Europas der sowjetischen Herrschaft überlassen worden war.
Lightner erzählte Freunden, dass, wenn Clay am 13. August in Berlin gewesen wäre, das US-Militär die ersten leichteren Befestigungsanlagen niedergerissen hätte. Die Ostdeutschen hätten dann keinesfalls einen Krieg riskiert, um sie wiederaufzubauen. 9 Er unterstützte Clays Argument, dass sich die Vereinigten Staaten kein weiteres Nachgeben leisten könnten. Allerdings befürchtete er, dass Clay sich nicht gegenüber den US-Strukturen in Berlin durchsetzen könnte, die viel bürokratischer waren als die, mit denen er sich im Jahr 1948/49 auseinandersetzen musste. Lightner selbst wusste das aus erster Hand, da er zwei Befehlsketten über sich hatte. Er war gleichzeitig die Nummer zwei von General Watson in Berlin und von Botschafter Dowling in Bonn.
Wie es das Schicksal wollte, hielt die DDR-Grenzpolizei an diesem Abend Lightners Volkswagen an, als dieser um die erste der drei niedrigen rot-weißen Betonbarrieren des Grenzübergangs Friedrichstraße herumgekurvt war, von denen zwei vom linken und eine vom rechten Straßenrand in die Fahrbahn hineinragten. 10 Gemäß der erhaltenen Vorschrift weigerte sich Lightner, den DDR-Beamten seine Papiere zu zeigen, und bestand darauf, mit einem sowjetischen
Offizier zu sprechen. Meistens winkten die DDR-Grenzposten amerikanische Diplomaten dann durch. Jetzt hatte der Polizist offensichtlich den strikten Befehl, niemanden wie Lightner mehr durchzulassen. Da es Sonntag sei, könne er auch keinen sowjetischen Verantwortlichen erreichen. Er bestand also darauf, dass Lightner ihm seinen Ausweis zeigte, sonst müsse er umkehren.
Lightner weigerte sich erneut. Er wurde dabei von seiner Frau Dorothy unterstützt, die den Grenzpolizisten vom Beifahrersitz aus über das Vier-Mächte-Statut belehrte. In den nächsten fünfundvierzig Minuten wurden die Gemüter immer erhitzter. Man schrie sich an und tauschte wütende Argumente aus, ohne dass ein sowjetischer Offizieller erschien. Jetzt hielt Lightner die Zeit für ein entschlossenes Handeln gekommen. Nachdem er von seinem speziellen Autotelefon aus Clay alarmiert hatte, bereitete er sich darauf vor, seine Durchfahrt zu erzwingen. Obwohl er
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