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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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sofort mit Kennedys Sonderbeauftragtem. »Wessen Panzer sind es denn?«, fragte Clay sofort.
    »Es sind sowjetische, Sir«, antwortete Pike.
    »Woher wissen Sie das?«
    Als Pike ihm von seinem Ausflug in den Osten erzählte, sagte Clay am anderen Ende der Leitung erst einmal kein Wort. Pike glaubte, seine Gedanken lesen zu können: »O Gott, ein Leutnant hat gerade den Dritten Weltkrieg ausgelöst. «
    Pike hatte sich auf diese Mission eingelassen, weil er sich jung und unverwundbar fühlte, aber auch weil amerikanische Soldaten damals wenig von der Disziplin, der Moral und den militärischen Fähigkeiten der Sowjets hielten. Obwohl die GIs wussten, dass sie hoffnungslos in der Unterzahl waren, fühlten sie sich doch überlegen. Auf der Autobahnfahrt von Helmstedt nach Westberlin war er immer wieder russischen Landsern begegnet, die ihre Koppelschlösser,
Mützen und manchmal sogar sowjetischen Orden gegen Playboy- Magazine, Kaugummi, Kugelschreiber und vor allem Zigaretten eintauschen wollten.
    Manchmal warfen GIs aus Bosheit halb gerauchte, noch brennende Zigaretten auf den Boden, nur um sich anschließend darüber zu amüsieren, wenn die Russen sich darum balgten, wer diese Kippen aufheben durfte. Pike erinnerte sich noch Jahre später, dass ihre Ausrüstung schlecht, das Leder ihrer Stiefel abgewetzt und ihre Feldjacken alt waren, als hätten sie schon mehrere Rekrutengenerationen durchlaufen. Seinen Freunden erzählte er: »Ihr Körpergeruch würde einen Bussard von einem Mistwagen jagen.«
    Von ihren schlecht zu manövrierenden Panzern hielt Pike auch nicht viel mehr. Er hatte bemerkt, dass ihre Fahrer oft kleinwüchsige Asiaten waren, da sie wohl als Einzige in die viel zu kleinen Kabinen hineinpassten. Er und seine Männer mussten kichern, als die ersten Panzer an diesem Tag herangerattert kamen und die auf der Straße stehenden Offiziere sie mit übertriebenen Handzeichen an die richtige Stelle zu lotsen versuchten, wobei sie offensichtlich einige Sprachverständnis- und Manövrierschwierigkeiten zu überwinden hatten.
    Andererseits fand Pike die Tatsache überhaupt nicht lustig, dass die Sowjetarmee »uns ohne Schwierigkeiten aus dem Weg räumen könnte, wenn sie sich je entscheiden sollte, den westlichen Teil der Stadt zu übernehmen«. Er erinnerte sich noch sehr gut an seine Lageeinweisung, als er sich in Westberlin zum Dienst gemeldet hatte.
    »Sie sind die erste Verteidigungslinie«, hatte ihm sein Vorgesetzter erklärt. »Geht der Laden hier einmal hoch, ist es das Beste, wenn Sie sich eine Binde mit der Aufschrift ›Straßenmeister‹ um den linken Arm binden, sich einen Besen schnappen und dann die ganze Autobahn zwischen hier und der Bundesrepublik kehren. Das ist der einzige Weg, wie Sie in einem solchen Fall lebend aus Berlin rauskommen.«
    Damals hatte Pike gelacht, jetzt war ihm das Lachen vergangen. Er dachte über den möglichen Ausgang dieser Geschichte nach, während er mit den Füßen stampfte, um warm zu bleiben. Entweder würde die Führung der Vereinigten Staaten oder die der Sowjetunion nachgeben und ihre Panzer abziehen – oder jemand würde zu schießen beginnen und einen Krieg auslösen. Jedenfalls konnte er sich kaum vorstellen, dass sich seine mit Zwillingen hochschwangere Frau einen Besen schnappte und sich ihren Weg aus Berlin hinauskehrte.
    So bedrohlich die Szene in Pikes Augen war, so fanden doch auch ergreifende menschliche Szenen statt.

    Einmal entschied sich eine einundachtzigjährige Ostberlinerin, das ganze Durcheinander auszunutzen und ganz einfach über die Grenze zu gehen. 10 Meter entfernt stand auf Westberliner Seite ihr Sohn. Plötzlich trat ihr ein Ostberliner Polizist in den Weg. Die Menge schaute angstvoll zu, während ihr Sohn ihr immer wieder zurief: »Mutter, komm doch, bitte!« 31
    Der Beamte, der eigentlich laut Befehl jeden Fluchtversuch notfalls auch mit Waffengewalt verhindern musste, hatte jedoch offensichtlich Mitleid. Er trat beiseite und rief auch seinen Hund zurück. Die alte Frau ging mit unsicheren Schritten die letzten Meter zur weißen Grenzlinie hinüber, hinter der sie unter dem Jubel der Umstehenden ihrem Sohn in die Arme fiel.
    Den nicht markierten Sowjetpanzern standen im Westen vier M-48-Patton-Panzer der US Army gegenüber, von denen zwei genau bis zum weißen Streifen quer über die Friedrichstraße vorgefahren waren, die den Westen vom Osten trennte. Sechs Hochleistungsscheinwerfer, die die DDR einen Tag zuvor auf hölzerne Türme

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