Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
er sich besorgt: »Was würde passieren, wenn einer dieser Idioten einen Schuss auf uns abgibt – und der Showdown dann zu einer allgemeinen Schießerei wird?«
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Zuschauer säumen die Friedrichstraße.
Gerade als die Sowjets die Zahl ihrer Panzer noch erhöhten, erhielt Clay neue Anweisungen aus Washington, seine Truppen so bald wie möglich wieder abzuziehen. 33 Rusk warnte Clay vor dem aggressiven Kurs, dem er selber noch drei Tage vorher zugestimmt hatte. Foy Kohler, der Mann, der im US-Außenministerium für die Handhabung des Checkpoint-Charlie-Showdowns zuständig war, hatte Rusks Telegramm noch eine Kurzbemerkung hinzugefügt, die Clay davon überzeugen sollte, dass jeder Appell an Kennedy Zeitverschwendung wäre. Sie lautete: »Genehmigt von [Rusk] nach Prüfung durch den Präsidenten.«
Clay hatte über die Jahre schon viele breiige Texte aus Washington zu Ge-sicht
bekommen, aber diese Botschaft schlug sie alle um Längen. Rusk hatte geschrieben: »Es liegt in der Natur der Sache, dass wir uns vor langer Zeit dafür entschieden haben, dass der Zugang nach Berlin kein vitales Interesse darstellt, das einen entschlossenen Rückgriff auf gewaltsame Maßnahmen zu dessen Schutz und Aufrechterhaltung erforderlich machen würde. Da wir uns aus diesem Grund mit dem Bau der Mauer abgefunden haben, müssen wir jetzt freimütig unter uns anerkennen, dass wir dadurch die Tatsache weitgehend akzeptiert haben, dass die Sowjets in Ostberlin ihre unfreiwilligen Untertanen isolieren können, wie sie es zuvor auch in anderen Gebieten getan haben, die unter ihrer effektiven physischen Kontrolle stehen.«
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Sowjetische Panzer aus der Sicht eines amerikanischen Kanoniers.
Rusks Botschaft war unmissverständlich: Clay sollte Kennedys ausgebliebenen Widerstand gegen die Grenzabriegelung als De-facto-Zustimmung betrachten, dass die Sowjets auf dem Gebiet, das sie gegenwärtig beherrschten, machen konnten, was sie wollten. Rusk fügte noch hinzu, dass die US-Verbündeten keine stärkeren Maßnahmen unterstützen würden. Das gelte »speziell für die Frage, ob man seine Ausweispapiere zeigen sollte«, bei der die Briten tatsächlich bereits eingeknickt waren.
Rusk räumte ein, dass Kennedy Schwierigkeiten habe, die Alliierten von der »realen Perspektive« eines bewaffneten Konflikts wegen Westberlin zu überzeugen. Wenngleich die Kennedy-Administration durchaus die Rechtswidrigkeit der ostdeutschen und sowjetischen Aktionen vom 13. August beweisen möchte, »wollen wir nicht, dass dies zu einer reinen Demonstration unserer Machtlosigkeit wird, sich die öffentliche Aufmerksamkeit weltweit auf die falsche Sache konzentriert und bei den Westberlinern und Westdeutschen Erwartungen weckt, die am Ende nur enttäuscht werden können«, erklärte Rusk.
Clay war dagegen noch nie so sehr davon überzeugt gewesen, dass jede Beschwichtigungspolitik den russischen Bären nur noch weiter ermutigen würde. Deshalb hatte er am Mittag desselben Tages seinerseits ein Telegramm an Rusk geschickt. 34 Darin hatte er für den Fall, dass die DDR auf die gegenwärtigen US-Aktionen mit einer völligen Schließung des Übergangs Friedrichstraße reagieren würde, was er für durchaus möglich halte, einen »bewaffneten Blitzangriff« gefordert, bei dem Teile der Mauer eingerissen werden sollten.
Er erklärte dann genau, wie diese Operation ablaufen sollte: 35 Panzer mit Bulldozerschaufeln würden ganz legal in die DDR hineinfahren, wozu sie laut dem Vier-Mächte-Abkommen das Recht hätten. Auf ihrem Rückweg würden sie jedoch demonstrativ durch einige Abschnitte der Mauer hindurchbrechen. Am 26. Oktober hatte auch der NATO-Oberbefehlshaber Norstad General Watson autorisiert, »den gegenwärtigen Plan [Clays] zur Durchbrechung der Sperre an der Friedrichstraße anzuwenden«, wenn die DDR den Übergang völlig sperren sollte. Mit diesem »gegenwärtigen Plan« meinte er eine Instruktion Clays vom 18. Oktober, bei der es tatsächlich nur um die Öffnung des Checkpoints Charlie ging. 36 Auch Norstad wies Watson jetzt jedoch an, einen Alternativplan zu entwickeln, bei dem, »wenn vom militärischen Standpunkt her möglich, der Mauerdurchbruch neben der Friedrichstraße auch an mehreren anderen Stellen erfolgen sollte«.
Er fügte dem jedoch noch eine unmissverständliche Botschaft an Clay hinzu: »Dieser Alternativplan wird unter keinen Umständen ohne meine spezielle Zustimmung umgesetzt.«
Tatsächlich hatte Rusk in seinem neuen
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