Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
einer französischen Farce aus dem 19. Jahrhundert an sich, in der die sowjetischen Schauspieler genau dann hinter dem Vorhang verschwanden, als ihre amerikanischen Gegenspieler die Bühne
betraten. In der Erwartung, dass ihre Gegner zurückkehren könnten, blieben die Panzer vor Ort und nahmen Verteidigungsstellungen ein.
Etwa vierzig Minuten später, kurz nach 18 Uhr, kehrten die offensichtlich russischen Panzer zurück und stellten sich so auf, dass ihre Kanonen über die Grenze hinweg auf die amerikanischen Panzer gerichtet waren. Ein Reporter der Washington Post, der zu den Dutzenden von Korrespondenten gehörte, die sich inzwischen am Sektorenübergang versammelt hatten, verkündete, dass sich hier »zum ersten Mal Truppen der beiden einstigen Kriegsverbündeten und heutigen Weltsupermächte in direkter, feindseliger Konfrontation gegenüberstehen«. Aufgrund ihrer verwischten Hoheitszeichen nannte sie der CBS-Radiokorrespondent Daniel Schorr, »um einen Begriff von Orwell zu verwenden, […] die Un-Panzer. Vielleicht bekommen wir eines Tages zu hören, dass es nur russischsprachige Freiwillige waren, die sich ein paar gebrauchte Panzer gekauft haben und aus eigenem Antrieb hierhergekommen sind.« Schorr schilderte seinen Hörern die eigentümliche Szenerie: Im Westen saßen die amerikanischen GIs auf ihren Panzern, rauchten, plauderten und aßen aus ihrem Kochgeschirr. Westberliner standen hinter Absperrseilen und kauften sich von Straßenhändlern Salzstangen. Manche überreichten den GIs Blumen. Die Szene im Westen wurde von der östlichen Seite aus von taghellen Scheinwerfern erleuchtet, eine Form der Einschüchterung durch erhöhten Stromverbrauch. Im Osten standen die anscheinend sowjetischen Panzer mit ihren schwarz uniformierten Besatzungen im Dunkeln. »Welch ein Bild für die Geschichtsbücher! «, rief Schorr aus.
Clay verlangte die Bestätigung, dass es sich dabei wirklich um sowjetische Panzer handelte, damit er dies nach Washington melden konnte. Dies war beileibe nicht nur eine akademische Angelegenheit. Eine Konfrontation mit sowjetischen Kampftruppen konnte die Vereinigten Staaten immerhin in einen weltweiten Krieg verwickeln. DDR-Panzer stellten eine ganz andere Schwierigkeit dar, da deren Einsatz in Ostberlin laut dem Vier-Mächte-Abkommen verboten war.
Pike und seinem Fahrer Sam McCart wurde aufgetragen, die Herkunft der Panzer festzustellen. Sie stiegen in eine Limousine der Army, kurvten durch die Betonbarrieren hindurch und fuhren dann an den Panzern vorbei ein gutes Stück eine Seitenstraße hinunter. Sie stellten ihren Wagen ab und gingen zu Fuß zurück. Es war Teil der surrealen Natur dieses Showdowns, dass beide Seiten weiterhin den freien Grenzübertritt von Militärfahrzeugen respektierten. Sie waren am Checkpoint nicht einmal angehalten worden.
Pike war überrascht über die unlogische Zwei-Drei-Zwei-Aufstellung der Panzer, durch die es den hinteren Panzern unmöglich gemacht wurde, auf den Feind zu schießen. Außerdem wurden sie dadurch auch zu einem leichten Ziel. Pike trat an einen der hinteren Panzer heran, sah aber nichts, was seiner Untersuchung weitergeholfen hätte. »Keine Russen, keine Ostdeutschen, niemand. «
Also kletterte er auf den Panzer und dann durch die offene Luke in die Fahrerkabine hinunter. Dort bestätigte sich, dass es ein sowjetisches Fahrzeug war. Die Aufschriften auf den Bedienungselementen waren in kyrillischer Schrift, und neben dem Bremshebel lag eine Zeitung der Roten Armee, wie Pike trotz seiner spärlichen Russischkenntnisse erkennen konnte. »Hey, McCart, schau mal!«, rief er, als er wieder aus dem T-54-Panzer kletterte und mit der Zeitung wedelte, die er als Beweisstück mitgenommen hatte.
Die Panzerbesatzungen, insgesamt etwa fünfzig Mann, saßen ein kurzes Stück entfernt auf dem Boden. Offensichtlich wurden sie gerade über ihre Mission aufgeklärt. Pike schlich sich so nahe heran, bis er hören konnte, dass sie tatsächlich Russisch sprachen. Als ihn einer der sowjetischen Offiziere bemerkte, drehte er sich zu McCart um und sagte: »Nichts wie weg hier!«
Zurück im Westen teilten sie Oberstleutnant Sabolyk, Pikes direktem Vorgesetzten, mit, dass es sich tatsächlich um sowjetische Panzer handle. Als Pike erklärte, wie sie das herausgefunden hätten, und die Zeitung vorzeigte, fragte der geschockte Sabolyk: »Sie haben was getan?«
Der ungläubige Oberstleutnant ließ Pike im Operationszentrum anrufen. Dort verband man ihn
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