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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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hatte montieren lassen, tauchten sie in gleißendes Licht. Zwei weitere US-Panzer warteten auf einem Abstellplatz direkt neben der Friedrichstraße und vier weitere kampfbereit 400 Meter von der Grenze entfernt. Neben diesen standen fünf Mannschaftstransportwagen und fünf Jeeps, in denen Militärpolizisten saßen, die kugelsichere Westen trugen und ihre Bajonette bereits auf ihre Gewehre aufgepflanzt hatten.
    Die amerikanischen Befehlshaber hatten ihre gesamte 6500-Mann-Garnison in Bereitschaft versetzt. Der französische Kommandant hatte befohlen, dass seine 3000 Mann in ihren Kasernen bleiben und auf mögliche Einsätze warten sollten. Die Briten hatten etwa 600 Meter vom Checkpoint Charlie entfernt in der Nähe des Brandenburger Tors zwei Panzerabwehrgeschütze in Stellung gebracht und bewaffnete Patrouillen bis zu den Stacheldrahtsperren vor dem Tor vorgeschickt. Ein Reporter der New York Times beschrieb die Szene wie folgt: »Es war, als ob zwei Schachspieler eine Situation auf einem völlig ungeordneten Spielbrett in den Griff zu bekommen versuchten, wobei General Clay die amerikanischen Figuren und höchstwahrscheinlich Marschall Iwan S. Konew, der erst kürzlich ernannte sowjetische Oberbefehlshaber in Deutschland, die sowjetischen bewegte. […] Als persönlicher Sonderbeauftragter von US-Präsident Kennedy hat Clay keinen Platz in der regulären Befehlskette. Aber … es ist klar, dass seine besondere Stellung ihm bei lokalen Beschlüssen die entscheidende Stimme gab.« 32
    Pike und seine GIs brannten darauf, es den Kommunisten einmal zu zeigen. Sie waren immer noch enttäuscht darüber, dass ihre Befehlshaber sie am
13. August in den Kasernen gelassen hatten. Fast drei Wochen nach der Grenzschließung mussten Pike und seine Männer dann ohnmächtig zusehen, wie Baubrigaden der ostdeutschen Jungen Pioniere die provisorischen Stacheldrahtsperren durch eine Mauer aus Betonsteinen ersetzten.
    Pike hatte sich damals bei seinen Vorgesetzten erkundigt, ob er nicht etwas unternehmen sollte, um diesen Arbeiten ein Ende zu setzen. Aber er bekam die Antwort, die danach auf Dauer gelten sollte: Die US-Soldaten sollten dasitzen, Däumchen drehen und zuschauen, wie die Mauer immer weiterwuchs.
    Pike erinnerte sich später, dass einer der ostdeutschen Mauerbauer am Abend des 1. September nach links und rechts geschaut hatte, ob ihn jemand beobachtete, und dann zu ihm über den Stacheldraht hinweg gesagt hatte: »Leutnant, sehen Sie nur, wie langsam wir arbeiten. Worauf warten Sie noch?« Er wollte, dass die Amerikaner eingriffen.
    Später sagte ein Polizist, der hinter dem Arbeiter stand, fast dasselbe: »Schauen Sie, Leutnant, meine Maschinenpistole ist nicht geladen. Worauf warten Sie noch?« Weil die DDR-Offiziere jede spontane Schießerei vermeiden wollten, hatten sie tatsächlich keine Munition an ihre Leute ausgegeben. Dieser Beamte wollte jetzt diese Information an Pike weitergeben, damit die US-Truppen wussten, dass sie ohne Gefahr zuschlagen könnten.
    Pike unterrichtete seine Vorgesetzten darüber, bekam jedoch wieder einmal zur Antwort, dass er Zurückhaltung wahren solle.
    Der Befehl vom vergangenen Sonntag, der die militärischen Eskorten von US-Zivilfahrzeugen anordnete, hob dann die Moral der Truppe in ganz entscheidender Weise. Pikes Männer sollten unmittelbar an der Grenze Stellung beziehen, die gegnerische Seite aufmerksam beobachten und auf DDR-Grenzpolizisten schießen, wenn diese Gewalt anwenden sollten. Mit geladenen Gewehren und unter dem Schutz der in ihrem Rücken stehenden US-Panzer hatten sie mehrmals alliierte Zivilfahrzeuge und Touristenbusse durch die Zickzackbarrieren des Grenzübergangs eskortiert.
    Bis an diesem Nachmittag die sowjetischen Panzer aufgetaucht waren, verlief die Operation wie geplant. Nun jedoch rührte sich niemand mehr von der Stelle, während die Kommandanten der beiden Seiten in ihren Einsatzzentralen am entgegengesetzten Ende der Stadt auf Instruktionen aus Washington und Moskau warteten.
    Pike war erleichtert, dass sein Tarnanzug immer noch unversehrt war. Mit den Sachen, die er bei sich trug, konnte er sowjetische Panzer oder Infanteristen kaum aufhalten: ein MP-Armband um seinen linken Oberarm, ein Erste-Hilfe-Beutel,
ein Essgeschirr, Handschellen, ein Gummiknüppel, eine 45er-Automatikpistole und sein Gewehr. Pike machte sich auf eine lange, kalte Nacht gefasst. Als er durch seinen Feldstecher auf die jungen, ängstlichen Gesichter seiner Feinde schaute, fragte

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