Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
fehlten.
DER KREML, MOSKAU
MONTAG, 30. JANUAR 1961
Zwölf Tage, nachdem Ulbricht seinen Brief an Chruschtschow losgeschickt hatte, lag dessen Antwortschreiben auf seinem Schreibtisch. Dies war zufällig der gleiche Tag, an dem John F. Kennedy seine Rede zur Lage der Nation hielt. In Anbetracht der massiven Forderungen Ulbrichts war Chruschtschows Brief 13 erstaunlich verbindlich, bisweilen fast schon devot.
Am Anfang teilte der sowjetische Ministerpräsident Ulbricht mit, dass das Zentralkomitee der KPdSU »Ihren Brief sorgfältig erörtert hat« und dass die
Moskauer Führung mit vielem darin übereinstimme. Dass Chruschtschow den Brief auch anderen Parteigrößen hatte zukommen lassen, zeigte, dass er den Ernst der Kritik Ulbrichts und die Dringlichkeit seiner Forderungen erkannt hatte. Trotzdem bat er Ulbricht auch dieses Mal, seine wachsende Ungeduld zu zügeln.
»Zurzeit beginnen wir eine sachliche Erörterung dieser Fragen mit Kennedy einzuleiten«, schrieb er. »Die vorgenommene Abtastung zeigt, dass es einiger Zeit bedarf, bis Kennedy seine Position in der Deutschland-Frage deutlicher absteckt und es klar wird, ob die Regierung der USA gewillt sein wird, gegenseitig annehmbare Beschlüsse zu erzielen.«
Der sowjetische Ministerpräsident räumte ein, dass sich die umfassenden Maßnahmen, die Ulbricht in seinem Brief vorgeschlagen hatte, »in der heutigen Lage« als notwendig erweisen könnten. »Wenn es nicht gelingen wird, mit Kennedy zu einer Verständigung zu kommen, werden wir, wie vereinbart, gemeinsam mit Ihnen den Zeitpunkt ihrer Durchführung bestimmen.«
Ulbricht hatte zwar weniger erreicht, als er gewollt hatte, allerdings auch mehr, als er vielleicht für wahrscheinlich gehalten hatte. Chruschtschow würde seine Wirtschaftshilfe noch einmal erhöhen. Darüber hinaus würde der Sowjetführer eine Sitzung des Politischen Konsultativkomitees des Warschauer Pakts einberufen, um die Lage in Berlin zu besprechen. Nur in der Frage eines ostdeutsch-sowjetischen Gipfels reagierte er leicht ausweichend, als er feststellte, dass »der Zeitpunkt der Zusammenkunft später festgelegt werden könnte«.
Chruschtschow hatte Ulbrichts Problemdiagnose akzeptiert und die Schritte, die er zur Lösung dieser Probleme vorgeschlagen hatte, nicht zurückgewiesen. Ulbricht konnte also befriedigt feststellen, dass er die Einstellung der KPdSU zu Berlin auf allerhöchster Ebene beeinflusst hatte.
Tatsächlich wollte Chruschtschow sich immer noch die Zeit verschaffen, um mit dem neuen amerikanischen Präsidenten ins Geschäft zu kommen. Trotzdem hatte Ulbricht dafür gesorgt, dass die von ihm für nötig erachteten Maßnahmen sofort in die Wege geleitet werden konnten, falls Chruschtschows Bemühungen scheitern sollten, mit Kennedy eine Lösung für das Berlin-Problem zu vereinbaren. Dabei war sich der Staatsratsvorsitzende der DDR sicher, dass sie das tun würden.
Unterdessen würde Ulbricht seine Führungsmannschaft beauftragen, für alle Eventualfälle Pläne auszuarbeiten.
WEISSES HAUS, WASH I NGTON, D.C.
FREITAG, 17. FEBRUAR 1961
In den Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland zogen bereits dunkle Wolken auf, als Außenminister Heinrich von Brentano das Oval Office betrat. Kanzler Adenauer hatte ihn beauftragt, das Feld zu sondieren und einzelne seiner Besorgnisse weiterzugeben.
Mehrere Jahre lang hatte sich die Einstellung der Amerikaner zur Bundesrepublik ständig verbessert. Man war davon beeindruckt, wie schnell und umfassend sich das Land einer Freiheit im US-amerikanischen Sinn geöffnet hatte. Jetzt begann jedoch plötzlich die öffentliche Meinung zu kippen. Grund hierfür waren vor allem die Presseberichte über den bevorstehenden Prozess gegen den Judenmörder Adolf Eichmann in Jerusalem und William L. Shirers Aufsehen erregender Bestseller Aufstieg und Fall des Dritten Reiches mit seinen vielen neu aufgedeckten, schäbigen Einzelheiten über eine noch gar nicht so lange zurückliegende deutsche Vergangenheit.
Das Bonner Auswärtige Amt hatte Adenauer zu Beginn des Jahres gewarnt, dass in Amerika unter der Oberfläche immer noch Ressentiments und ein gewisser Argwohn schlummerten, die unter gewissen Umständen jederzeit wiederaufleben könnten. 14 Vor allem der bundesdeutsche Botschafter in Washington, Wilhelm Grewe, sah diese Entwicklung mit großer Sorge. Auf einer Konferenz der Atlantik-Brücke, eines einflussreichen Vereins, der laut Satzung die
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