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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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könnten es sich ebenfalls nicht länger leisten, den Sozialismus in Ostdeutschland vor die Hunde gehen zu lassen. Bruce argumentierte, dass derzeit das weit größere Problem darin bestehe, dass ostdeutsche Flüchtlinge »all das schwächten, was das normale Leben eines Staates ausmacht«, wenn zweihunderttausend Menschen im Jahr 1960 das Land verließen, darunter gut 70 Prozent aus wichtigen Altersgruppen.
    Ein abschließendes internes Memorandum zu dem Treffen übertünchte den Streit zwischen den beiden Seiten. Darin hieß es, dass sowohl die Vereinigten Staaten als auch Großbritannien im Jahr 1961 eine Eskalation der Berlin-Krise erwarteten, sie sich einig seien, dass der Verlust Westberlins eine Katastrophe wäre und dass die Alliierten ihrer Meinung nach ihre Entschlossenheit im Fall Berlin den Sowjets deutlicher zeigen müssten. Das Dokument verlangte ferner eine verstärkte militärische Planung des Ernstfalls. 50
    In der klaren Frühlingssonne des Rosengartens beim Weißen Haus stand Kennedy neben Macmillan und verlas eine gemeinsame Erklärung, in der die Rede war von einem »sehr hohen Maß an Übereinstimmung in unserer Einschätzung der Natur der Probleme, vor denen wir stehen«. Darin wurden die erheblichen Meinungsunterschiede mit schwammigen Worten beschönigt, und
es wurde festgehalten, dass sich die beiden Männer über »die Bedeutung und Schwierigkeit« einig seien, »auf eine befriedigende Beziehung zur Sowjetunion hinzuarbeiten«. 51
    Macmillan hatte bei Kennedy wenig erreicht. Immerhin hatte Kennedy ausdrücklich die britischen Bestrebungen, in den europäischen gemeinsamen Markt einzutreten, als Teil seines »Grand Design« unterstützt, was im Hinblick auf den französischen Widerstand von einiger Bedeutung war. Darüber hinaus hatten die beiden Männer in zwei langen privaten Gesprächen eine persönliche Beziehung geknüpft.
    Dennoch war Macmillan mit vielen Zielen, die für ihn oberste Priorität hatten, gescheitert. Kennedy hatte sich den britischen Bemühungen widersetzt, China in die Vereinten Nationen aufzunehmen, und hatte klargestellt, dass er anders als Eisenhower Macmillan nicht als Vermittler mit Moskau einsetzen wolle. Und das Wichtigste: Die Amerikaner hatten die Absicht, ein Gipfeltreffen mit einem sowjetischen Parteichef auf europäischem Boden einzuberufen, und zwar zum ersten Mal, ohne ihre britischen oder französischen Verbündeten dazu einzuladen. Allem Anschein nach hatte Kennedy Achesons Haltung übernommen, dass London in der Berlin-Frage zu weich war.
    Britische Vertreter überraschten die Amerikaner, indem sie an ihre eigene Presse durchsickern ließen, dass die Gespräche zwischen Kennedy und Macmillan »rau, und heikel« gewesen seien, in vielerlei Hinsicht ergebnislos und mit Sicherheit schwieriger, als das Kommuniqué vermuten ließ. 52
    Es sollte noch schlimmer kommen.

KAPITEL 9
Riskante Diplomatie
    Die amerikanische Regierung und der Präsident befürchten, dass die sowjetische Führung die Fähigkeiten der US-Regierung und des Präsidenten selbst unterschätzt.
    ROBERT KENNEDY ZU DEM AGENTEN DES
SOWJETISCHEN MILITÄRGEHEIMDIENSTES GEORGIJ BOLSCHAKOW, 9. MAI 1961 1
     
    Berlin ist eine schwärende Wunde, die entfernt werden muss.
    PARTEICHEF CHRUSCHTSCHOW ZU
US-BOTSCHAFTER LLEWELLYN E. THOMPSON JUN. WÄHREND EINER EISREVUE
IN MOSKAU ZUM ZIEL DES WIENER GIPFELTREFFENS, 23. MAI 1961 2
    WASHINGTON, D.C.
DIENSTAG, 9. MAI 1961
    In einem weißen Hemd, mit gelockerter Krawatte, das Jackett lässig über die Schulter geworfen, lief Justizminister Robert Kennedy die Stufen des Seiteneingangs zu seinem Ministerium an der Pennsylvania Avenue hinab und streckte dem sowjetischen Agenten Georgij Bolschakow die Hand hin. 3
    »Hallo, Georgij, lange nicht gesehen«, begrüßte ihn der Justizminister, als sehe er einen alten Bekannten wieder, obwohl er ihm nur einmal kurz begegnet war, vor gut sieben Jahren. An Kennedys Seite stand Ed Guthman, der Pulitzer-Preisträger, den er zu seinem Pressesprecher und Sprachrohr auserkoren hatte. Guthman hatte dieses einzigartige Treffen über den Mann eingefädelt, der Bolschakow mit einem Taxi gebracht hatte und jetzt neben ihm stand, den Korrespondenten der New Yorker Daily News Frank Holeman.
    »Machen wir einen Spaziergang?«, fragte Kennedy Bolschakow. Das lockere Auftreten des Justizministers war geradezu entwaffnend in Anbetracht des ungewöhnlichen,
beispiellosen Kontakts, den er im Begriff war herzustellen. Er bedeutete Guthman

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