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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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andere Vorgesetzte ihm zur Weiterleitung übermittelten, während Bolschakow aus Bobby Kennedy, der mit dem Präsidenten und dessen Denkweise eng vertraut war, viel mehr Informationen herausholen konnte.
    Bolschakow war aber nur einer von zwei Kanälen, über die Chruschtschow Anfang Mai versuchte, mit Kennedy Kontakt aufzunehmen. Während die führenden sowjetischen Vertreter beide Kanäle zu ihrem größtmöglichen Nutzen instrumentalisierten, wussten ihre amerikanischen Pendants lediglich von der offiziellen Anfrage, die fünf Tage zuvor eingegangen war. Damals hatte Außenminister Andrej Gromyko Botschafter Thompson telefonisch die verspätete Antwort Chruschtschows auf Kennedys Brief von vor zwei Monaten übermittelt, in dem der US-Präsident den Parteichef zu einem Gipfeltreffen eingeladen hatte. 4
    Gromyko hatte sich bei Thompson dafür entschuldigt, dass Chruschtschow ihm nicht persönlich sein Interesse mitteilen konnte. Der Sowjetführer verließ Moskau zu einem weiteren Ausflug in die Provinz, um alles für den Parteitag im Oktober vorzubereiten, und er kehrte erst am 20. Mai zurück. Aber in Chruschtschows Auftrag sagte Gromyko, dass der Sowjetführer »den Umstand bedaure, dass die Uneinigkeit« zwischen den beiden Ländern wegen der Schweinebucht und Laos zugenommen habe.
    Mit sorgsam gewählten Worten sagte Gromyko: »Wenn die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten nicht der Meinung sind, dass zwischen den beiden eine unüberbrückbare Kluft besteht, dann sollten sie daraus die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen, nämlich, dass wir auf einem gemeinsamen Planeten leben und deshalb Möglichkeiten gefunden werden sollten, zweckdienliche Fragen zu regeln und unsere Beziehungen zu verbessern.« Zu diesem Zweck sei Chruschtschow, so Gromyko, nunmehr bereit, Kennedys Einladung zu einem Treffen anzunehmen, und überzeugt, dass »Brücken gebaut werden müssen, die unsere Länder miteinander verbinden«.
    Gromyko wollte von Thompson wissen, ob die Einladung Kennedys »noch
gelte oder zurückgezogen werde« nach den Ereignissen in der Schweinebucht. Gromyko hatte die Frage zwar sehr höflich formuliert, doch dahinter verbarg sich eine fast schon unverschämte Botschaft. Genau genommen fragte er, ob Kennedy immer noch den Schneid hatte, sich mit Chruschtschow zu treffen, nachdem er sich in Kuba so übel ins Knie geschossen hatte.
    Damit hatte die dritte Phase in Chruschtschows Annäherung an Kennedy begonnen. Die erste Phase waren die hektischen Bemühungen Chruschtschows gewesen, unmittelbar nach der Präsidentschaftswahl und kurz nach Amtsantritt ein Treffen mit Kennedy zu arrangieren. In der zweiten Phase hatte der Parteichef nach einer scharfen Botschaft in Kennedys Rede zur Lage der Nation das Interesse verloren. Jetzt war Chruschtschow wiederum an einem Treffen sehr interessiert und wollte seinen vermeintlichen Vorteil gegenüber einem geschwächten Gegner nutzen.
    Thompson legte den Hörer auf und verfasste ein Telegramm. Er gelangte sofort zu folgendem Schluss: Wenn der US-Präsident eine gefahrvolle Verschlechterung der Beziehungen umkehren wollte, dann würden die Risiken, die mit der Zustimmung zu einem solchen Treffen verbunden waren, von der absoluten Notwendigkeit weit aufgewogen. Nach dem geheimen Telegramm um 16 Uhr, in dem er über das Gespräch mit Gromyko Bericht erstattete, schickte Thompson eine verschlüsselte Botschaft an Außenminister Rusk, in der er den Präsidenten drängte, Chruschtschows ausgestreckte Hand zu ergreifen. Kritiker könnten einwenden, dass Kennedy wie ein angeschossenes Opfer in die Bärenfalle ging, aber Thompson machte den Vorschlag, Kennedy solle öffentlich erklären, dass er Chruschtschow lange vor der Invasion in der Schweinebucht eingeladen und der Sowjetführer erst jetzt darauf geantwortet habe.
    Anschließend legte Thompson seine Argumente dar, die für ein Treffen sprachen:
    Allein die Aussicht eines solchen Gipfeltreffens würde die Sowjets dazu veranlassen, »einen vernünftigeren Ansatz« bei Themen wie Laos, Atomwaffentests und Abrüstung einzunehmen.
    Eine persönliche Begegnung wäre die beste Gelegenheit für Kennedy, wichtige Entscheidungen des Parteitags im Oktober zu beeinflussen, die die Beziehung zwischen den Supermächten auf Jahre hinaus prägen könnten. Weil sich Mao Tse-tung vehement gegen amerikanisch-sowjetische Konsultationen aussprach, würde, so Thompson, »schon die Tatsache eines Treffens die sowjetisch-chinesischen Beziehungen

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