Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
belasten«.
Wenn Kennedy der Welt seine Bereitschaft beweise, direkt mit Chruschtschow zu sprechen, so werde dies schließlich die öffentliche Meinung in einer Weise beeinflussen, die es dem US-Präsidenten erleichtere, eine starke Position der Vereinigten Staaten bei der Verteidigung der Freiheit Westberlins zu wahren. 5
Trotz der negativen Entwicklung der Beziehung zu Moskau, argumentierte Thompson ferner, habe Chruschtschow weder den Wunsch ganz aufgegeben, mit dem Westen ins Geschäft zu kommen, noch habe er sich von der außenpolitischen Doktrin der friedlichen Koexistenz verabschiedet. Thompson fürchtete häufig, dass er von seinen Kritikern in Washington als Verteidiger Chruschtschows abgestempelt wurde, erklärte jedoch, dass der Sowjetführer nicht die Konfrontation mit dem Westen in der Dritten Welt initiiert, sondern sich lediglich amerikanische Rückschläge in Kuba, Laos, im Irak und Kongo zunutze gemacht habe.
Aber für Kennedy stand zu viel auf dem Spiel, um einem solchen Gipfeltreffen ohne Vorbedingungen zuzustimmen, die etwas sorgfältiger die sowjetischen Intentionen ausloten und weitere außenpolitische Pannen verhindern würden. Über diplomatische Sondierungen wollte Kennedy herausfinden, ob Chruschtschow wirklich an einer Verbesserung der Beziehungen gelegen war.
Nach einem Tag reiflicher Überlegungen antwortete Kennedy zurückhaltend über seinen Außenminister auf Thompsons Telegramm. Rusk informierte den Botschafter, dass der US-Präsident »immer noch den Wunsch habe«, sich mit dem Parteichef zu treffen, und hoffe, dass dies Anfang Juni in Wien möglich sei – an dem von den Sowjets bevorzugten Ort. Kennedy bedaure jedoch, dass er momentan keine feste Zusage geben könne, werde dies aber noch vor Chruschtschows Rückkehr nach Moskau am 20. Mai tun. 6
Es folgten die Bedingungen.
Vor allen Dingen sollte Thompson, telegrafierte Rusk, Chruschtschow zu verstehen geben, dass die Aussichten für ein Gipfeltreffen nicht sonderlich gut seien, falls die Sowjets nicht ihre Haltung in dem aktuellen Konflikt in Laos änderten. Die Genfer Verhandlungen würden in der kommenden Woche beginnen, Kennedy wolle den Krieg beenden und ein neutrales Laos befürworten. Aber die Sowjets hätten in Genf gemauert, während sich die Kämpfe ausweiteten.
Der Sondergesandte Averell Harriman, der die amerikanische Delegation in Genf leitete, hatte Kennedy gemeldet, er zweifle daran, dass Chruschtschow
bereit sei, ein neutrales Laos zu akzeptieren, weil die »Kommunisten in Genf vor Zuversicht strotzen und sich anscheinend völlig sicher sind, dass sie ihre Ziele in Laos erreichen werden«. Die Sowjets würden, so Harriman, geschickt manövrieren, um die Vereinigten Staaten in die inakzeptable Lage zu bringen, an der Konferenz teilnehmen zu müssen, ohne dass überhaupt ein Waffenstillstand erreicht worden war – nicht gerade die Handlungsweise eines Landes, das ein Gipfeltreffen hilfreich unterstützen würde. 7
Abgesehen davon teilte Rusk Thompson mit, der Präsident wünsche »aus innenpolitischen Gründen«, dass Chruschtschow zumindest in Aussicht stelle, während der Gespräche in Wien auf Kennedys Ziel eines Verbots von Kernwaffentests hinzuarbeiten. Darüber hinaus erwarte der Präsident die Versicherung, dass eine öffentliche Erklärung in Wien auf keinen Fall einen Hinweis auf Berlin enthalten werde, weil er nicht bereit sei, über diese Angelegenheit zu verhandeln. 8
Drei Tage danach lancierte Präsident John F. Kennedy dieselbe Botschaft probeweise über seinen Bruder, als Robert Kennedy mit Bolschakow im Unterhemd in seinem Büro im Justizministerium saß.
Es passte Bolschakow gut, dass Bobby sich den 9. Mai, einen staatlichen Feiertag in Moskau, für ihr erstes heimliches Treffen ausgesucht hatte. In Washington war es zwar ein gewöhnlicher Werktag, aber die Belegschaft der sowjetischen Botschaft hatte an diesem Tag frei, um den 16. Jahrestag des Siegs über die Nazis zu feiern. Das erleichterte es Bolschakow erheblich, selbst vor seinen engsten Kameraden den ultrageheimen Kanal zu Präsident Kennedy zu verbergen, den er etabliert hatte. 9
Schon indem dieser Kontakt überhaupt zustande kam, hatte Bolschakow den Widerstand seines unmittelbaren Vorgesetzten ignoriert, des Stationschefs oder »Residenten« für den sowjetischen Militärgeheimdienst GRU an der Botschaft. Für Bolschakows Chef war es undenkbar, dass ein mittlerer sowjetischer Agent den allerwichtigsten amerikanisch-sowjetischen
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