Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
und Holeman, ein wenig Abstand zu halten, während er und der russische Agent im Abendnebel über die Washingtoner Mall schlenderten und über die neueste Ausgabe der Propagandazeitschrift plauderten, für dessen englischsprachige Ausgabe Bolschakow verantwortlich war.
Auf Kennedys Vorschlag hin setzten sich die beiden Männer auf ein abgesondertes Rasenstück, es roch nach frisch gemähtem Gras. Das Kapitol ragte im Hintergrund auf der einen Seite auf, das Washington-Denkmal auf der anderen, das Eingangstor der Smithsonian Institution lag direkt hinter ihnen. Liebespaare bei einem frühen Abendspaziergang und kleine Touristengruppen blickten zu den Regenwolken auf, die ein Gewitter ankündigten.
Bolschakow erklärte, wie nahe er Chruschtschow stehe, und bot sich als nützlicherer und direkterer Draht zu dem Sowjetführer an als der Moskauer Botschafter in den Vereinigten Staaten Michail Menschikow, den Bobby und sein Bruder John für einen Clown hielten.
Bobby teilte Bolschakow mit, dass sein Bruder sich unbedingt mit Chruschtschow treffen wolle und dass er hoffe, die Kommunikation im Vorfeld des ersten Treffens zu verbessern, damit sich beide Seiten über die Agenda einigen könnten. Der Justizminister sagte, er habe bereits von Bolschakows Verbindungen zu hohen Mitarbeitern Chruschtschows gehört und sei zuversichtlich, dass er diese Rolle übernehmen könne, wenn er dazu bereit sei. »Es wäre großartig, wenn sie [die Mitarbeiter] von Ihnen Informationen aus erster Hand erhielten«, meinte Bobby. »Diese haben, wie ich meine, bestimmt Gelegenheit, Chruschtschow darüber zu berichten.«
Nach einem Donnergrollen sagte Robert Kennedy im Scherz: »Wenn ich von einem Blitz getroffen werde, melden die Zeitungen, ein russischer Agent habe den Bruder des Präsidenten umgebracht. Das könnte einen Krieg auslösen. Gehen wir lieber weiter.« Anfangs schritten sie zügig aus, beschleunigten dann das Tempo weiter, um dem Platzregen zu entkommen, und mussten im Büro des Justizministers erst einmal die nassen Hemden ausziehen, nachdem sie in seinem privaten Aufzug hochgefahren waren. Sie setzten die Unterhaltung im Unterhemd in einem Zimmer mit zwei Lehnstühlen, einem Kühlschrank und einer kleinen Bibliothek fort.
So begann eine wohl einzigartige und – noch Jahre später – in ihrer Bedeutung nicht voll erkannte Beziehung des Kalten Kriegs. Von diesem Tag an kommunizierten der Justizminister und Bolschakow häufig miteinander, zeitweise zwei- oder dreimal im Monat. Dieser Meinungsaustausch spielte sich fast völlig
unbemerkt und undokumentiert ab, ein Versäumnis, das Robert Kennedy später bedauern sollte. Er machte sich bei den Begegnungen nie Notizen und berichtete seinem Bruder direkt und nur mündlich darüber. Aus diesem Grund können die Gespräche zwischen Bolschakow und Robert Kennedy nur unvollständig über eine unzureichende mündliche Schilderung Kennedys, sowjetische Unterlagen, die teilweisen Erinnerungen Bolschakows und die Erinnerungen anderer rekonstruiert werden, die in der einen oder anderen Form daran beteiligt gewesen waren.
Bild 18
Ein sowjetischer Spion in Hyannis Port. Auf einem seltenen Foto sitzt der Agent des Militärgeheimdienstes Georgij Bolschakow (Zweiter von rechts) mit John F. Kennedy, einem Dolmetscher und Chruschtschows Schwiegersohn Alexej Adschubej (rechts) zusammen. Vor dem Wiener Gipfel begann Bolschakow, Geheimgespräche mit Robert Kennedy zu führen, die eine direkte Kontakt- möglichkeit zwischen dem Präsidenten und Chruschtschow zum Ziel hatten.
Präsident John F. Kennedy hatte dem ersten Treffen seines Bruders mit Bolschakow zugestimmt, ohne einen seiner außenpolitischen Berater oder Experten für die Sowjetunion zu konsultieren. Darin spiegelten sich das erhöhte Misstrauen der beiden Kennedys gegenüber dem Nachrichten- und Militärapparat seit der Invasion in der Schweinebucht sowie ihre Neigung zu heimlichen
Operationen und ihr Bestreben, so behutsam wie möglich alles daranzusetzen, um einen ordnungsgemäßen Ablauf des Gipfels zu gewährleisten.
Für Chruschtschow hingegen war Bolschakow eher ein nützlicher Bauer als eine wichtige Figur. Auf einem komplexen Schachbrett konnte Chruschtschow mit Bolschakows Hilfe Kennedy aus der Reserve locken, ohne seine eigenen Pläne aufzudecken. Von Anfang an war der sowjetische Führer wegen der Struktur des Austauschs im Vorteil. Präsident Kennedy konnte von Bolschakow nur das in Erfahrung bringen, was Chruschtschow und
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