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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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verpflichteten ihn die Nachkriegsabkommen. »Wir sind an der Teilung Deutschlands nicht schuld«, bekräftigte er gegenüber O’Donnell. »Wir sind wirklich nicht allein für die Vier-Mächte-Besatzung in Berlin verantwortlich, ein Fehler, den die Russen und wir niemals hätten begehen dürfen. Aber jetzt hätten es die Westdeutschen am liebsten, wenn wir die Russen aus Ostdeutschland vertreiben würden.«
    Und dann begann sich Kennedy erst richtig zu beklagen: »Es reicht wohl nicht, dass wir einen Haufen Geld für die militärische Verteidigung Westeuropas und vor allem die Verteidigung Westdeutschlands ausgeben müssen, während die Bundesrepublik zu der am schnellsten wachsenden Industriemacht der Welt geworden ist. Also wenn die glauben, dass wir uns wegen Berlin in einen Krieg stürzen, außer vielleicht als verzweifelten letzten Schritt, um das NATO-Bündnis zu retten, dann haben sie sich geschnitten!«
    Als ihr Flugzeug zur Landung in London ansetzte, erklärte Kennedy O’Donnell, er bezweifle, dass Chruschtschow »bei all seinem Geschrei« tatsächlich das tun würde, was er angedroht hatte. Aber Kennedy würde auch alles dafür tun, um den Sowjetführer nicht zu einer übereilten Gegenreaktion auf eine plötzliche US-Militäraktion zu verleiten. »Wenn wir schon einen Atomkrieg anfangen müssen«, sagte er, »dann müssen wir die Dinge so gestalten, dass er vom Präsidenten der Vereinigten Staaten ausgelöst wird und von niemandem sonst. Schon gar nicht von einem schießwütigen kleinen Sergeanten eines Lastwagenkonvois an einem Kontrollpunkt in Ostdeutschland.«
    LONDON
MONTAGMORGEN, 5. JUNI 1961
    Der britische Premierminister Macmillan spürte sofort Kennedys Angespanntheit und Beklemmung, die zum einen von den physischen Rückenschmerzen herrührten, zum anderen aber auch eine psychische Nachwirkung seines Treffens mit Chruschtschow waren. 38

    Während ihrer Unterredung 39 besuchten US-Offizielle in Krisenstimmung gleichzeitig die wichtigsten europäischen Verbündeten, um sie über dieses neue Berlin-Ultimatum zu unterrichten. Rusk setzte in Paris de Gaulle und die NATO ins Bild. Die hohen Beamten des Außenministeriums, Foy Kohler und Martin Hillenbrand, flogen nach Bonn, um Adenauer zu informieren.
    Der britische Premierminister sagte sofort das formelle Morgentreffen mit dem Präsidenten – »mit den Leuten vom Foreign Office und so« – ab und lud ihn stattdessen in seine Privatwohnung im Admiralty House ein, da Downing Street 10 zu dieser Zeit gerade renoviert wurde. Dort saßen sie drei Stunden, von 10:30 bis 13:15 Uhr, zusammen, eine Stunde länger, als ursprünglich vorgesehen war. 40 Dabei hörte Macmillan meistens zu, während er Kennedy mit Sandwiches und Whisky versorgte. Danach zogen sie bis 15 Uhr den britischen Außenminister Lord Home hinzu. Diese Unterredung begründete Kennedys engste Beziehung zu einem ausländischen Regierungschef. Er mochte den trockenen Humor des weit älteren Briten, dessen wache Intelligenz und seine »Nonchalance selbst da, wo er zutiefst engagiert war«, wie Arthur Schlesinger es formulierte. 41
    Macmillan würde später über Kennedy und den Wiener Gipfel schreiben: »Zum ersten Mal in seinem Leben begegnete Kennedy einem Mann, der seinem Charme gegenüber unempfindlich war.« 42 Der US-Präsident sei ihm »ziemlich fassungslos – ›verwirrt‹ wäre vielleicht das bessere Wort –, zutiefst beeindruckt und schockiert« erschienen. Macmillan bemerkte, dass Kennedy durch Chruschtschows Skrupellosigkeit und »barbarisches Benehmen« überwältigt worden sei, »wie jemand, der Napoleon zum ersten Mal auf der Höhe seiner Macht trifft«, oder wie Neville Chamberlain, der »versucht habe, ein Gespräch mit Herrn Hitler zu führen«.
    Macmillan riet Kennedy, der Westen »sollte erklären, dass die Russen bezüglich eines Vertrags mit der DDR tun könnten, was sie wollten, dass der Westen jedoch weiterhin auf seinen Rechten bestehe und jeden Angriff darauf mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften abwehren werde«. 43
    Kennedy meinte daraufhin, dass genau diese Drohung die Sowjets bisher vor weiteren Aktionen abgehalten habe. Leider halte Chruschtschow den Westen nach den jüngsten Ereignissen in Laos und »anderswo« (ein Euphemismus für Kuba und die Schweinebucht) für geschwächt. Schließlich sei der Westen bereits im Jahr 1948 nicht bereit gewesen, den Weg nach Westberlin zu erzwingen, obwohl er damals noch über das Atomwaffenmonopol verfügt

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