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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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bestimmtes Verbrechen nicht die Todesstrafe vorsieht, können wir sie auch nicht verhängen.«
    »Bei den Bauern gibt es den Spruch: ›Sondere die schlechten Samen aus‹«, beharrte Chruschtschow. »In diesen Fragen vertrat Stalin die richtigen Positionen. Er ging vielleicht zu weit, aber mit Verbrechern kannte er kein Erbarmen. Wir sollten unsere Feinde gnadenlos und gezielt bekämpfen.«
    Tatsächlich setzte Chruschtschow zahlreiche Änderungen durch, zu denen eine Zunahme der Todesurteile und eine Aufstockung der Polizeieinheiten innerhalb des KGB gehörten. Gleichzeitig wurden viele Liberalisierungsmaßnahmen zurückgenommen, die er einst selbst eingeleitet hatte.
    Während Kennedy noch auf dem Heimflug war und sich den Kopf zerbrach, was er seinen Landsleuten über den Gipfel erzählen sollte, feierte Chruschtschow in der indonesischen Botschaft in Moskau den sechzigsten Geburtstag des indonesischen Staatschefs Sukarno, der gerade zu einem Staatsbesuch in der Sowjetunion weilte. 54
    Auf dem Rasen des Botschaftsgebäudes spielte ein Orchester, und verschiedene Parteigrößen wie der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets,
Leonid Breschnew, und der stellvertretende Ministerpräsident, Anastas Mikojan, führten auf Chruschtschows Geheiß einen Volkstanz auf. Russische Diplomaten und Prominente klatschten den Takt dazu. Später schwang unter anderem auch der laotische Prinz Souvanna Phouma das Tanzbein.
    Sukarno selbst führte Chruschtschows Frau Nina auf die Tanzfläche. Die Hochstimmung des Sowjetführers nach dem erfolgreichen Wiener Gipfel schien auch alle anderen angesteckt zu haben. Einmal griff sich der sowjetische Ministerpräsident einen Stab und begann, das Orchester zu dirigieren. Den ganzen Abend hindurch erzählte er Witze. Als Sukarno scherzte, Chruschtschow müsse ihm jetzt neue Kredite gewähren, weil er Dirigent habe spielen dürfen, öffnete der Sowjetführer sein Jackett, stülpte die Taschen um und zeigte, dass sie leer waren.
    »Schaut her, er hat mir alles geraubt«, rief er, während sich die Anwesenden vor Lachen kugelten.
    Als er Mikojans gekonnte Tanzschritte beobachtete, witzelte Chruschtschow, dass sein Stellvertreter nur deswegen seinen Job behalten habe, weil das Zentralkomitee der Partei offiziell festgestellt habe, dass er ein eleganter Tänzer sei. Niemand hatte Chruschtschow seit dem Ungarn-Aufstand von 1956 und dem gescheiterten Parteiputsch von 1957 jemals so ausgelassen erlebt.
    Als Sukarno meinte, er würde jetzt gern ein hübsches Mädchen küssen, schaute sich Chruschtschows Frau in der Menge um. Doch als sie die geeignete Frau gefunden hatte, wollte diese nicht mitmachen, und auch ihr Ehemann war zunächst dagegen.
    »Ach, ich bitte Sie«, sagte Nina. »Sie müssen ihn doch nur einmal und nicht zweimal küssen.«
    So kam der indonesische Staatschef doch noch zu seinem Kuss.
    Der Höhepunkt des Abends war jedoch, als Sukarno Chruschtschow zu einem linkischen Zweiertänzchen auf die Tanzfläche zog. Eine Zeitlang tanzten sie Hand in Hand. Dann begann der euphorische Chruschtschow eine einmalige Solovorstellung. Später beschrieb er seinen Tanzstil als schwerfällig, unsicher, tapsig, eben »wie eine Kuh auf dem Eis«.
    Tatsächlich ging er dieses Mal jedoch in die Hocke und führte einen Kosakentanz auf, bei dem seine Beine nur so flogen. Der korpulente Sowjetführer wirkte an diesem Abend ungewöhnlich leichtfüßig und beflügelt. 55

KAPITEL 12
Ein stürmischer Sommer
    Die Bauarbeiter unserer Hauptstadt beschäftigen sich hauptsächlich mit Wohnungsbau, und ihre Arbeitskraft wird dafür voll eingesetzt. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.
    WALTER ULBRICHT AUF DER PRESSEKONFERENZ VOM 15. JUNI 1961 1
     
    Irgendwie schafft er es, Präsident zu sein, wenn auch nur dem Anschein nach.
    DEAN ACHESON AN EX-PRÄSIDENT TRUMAN ÜBER SEINE
BERLIN-PLANUNGSARBEIT FÜR PRÄSIDENT KENNEDY, 24. JUNI 1961 2
     
     
    Bei dem Berlin-Problem, das Chruschtschow jetzt zu einer Krise anheizt,
[…] geht es um weit mehr als um diese Stadt. Es ist sogar umfassender und
tiefgründiger als selbst die Deutschland-Frage in ihrer Gesamtheit.
Es ist zu einer Auseinandersetzung zwischen den USA und der UdSSR um die
größere Entschlossenheit geworden, deren Ausgang das Vertrauen Europas –
tatsächlich sogar der ganzen Welt – in die Vereinigten Staaten weitgehend
bestimmen wird.
    DEAN ACHESON IN EINEM BERICHT ÜBER BERLIN
FÜR PRÄSIDENT KENNEDY, 29. JUNI 1961 3
    HAUS DER

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