Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
amerikanischen isolationistischen Außenpolitik, sondern auch an der unehrlichen Weise, in der er nach Achesons Ansicht seinen Reichtum erlangt hatte. Acheson glaubte, dass er mit diesen unrechtmäßig erworbenen Geldern seinem Sohn das Weiße Haus erkauft hatte.
Für Präsident Kennedy war Acheson jedoch wahrscheinlich die beste Wahl, wenn er klare Antworten auf dringende Fragen erhalten wollte. An diesem 16. Juni betrachtete es Acheson als seine Aufgabe, der bisher etwas unklar strukturierten Entscheidungsfindung innerhalb der sogenannten Interdepartmental Coordinating Group on Berlin Contingency Planning (Interministerielle Koordinierungsgruppe für die Eventualfallplanung in Berlin) ein schärferes Profil zu geben. 11 Auf der an diesem Tag stattfindenden Sitzung des Gremiums, das allgemein nur »Berlin-Task-Force« genannt wurde, versicherte er den im Raum versammelten Männern, dass er sich nicht »in irgendwelche laufenden Operationen einmischen, sondern weitergehende Überlegungen und Aktivitäten anregen« wolle.
Seiner Ansicht nach müsse die Task-Force Chruschtschows Berlin-Drohungen ernst nehmen. Deshalb sei ihre Eventualfallplanung auch nicht mehr eine rein theoretische Übung. Jetzt müssten Entscheidungen gefällt werden. Wenn man untätig bleibe, würden die Kosten enorm. Ebenso gefährlich sei es jedoch, wenn es nicht gelinge, Chruschtschows wachsenden Eindruck umzukehren, er habe es mit einem schwachen Amerika zu tun. Beim Berlin-Problem
gehe es »zutiefst um das Prestige der Vereinigten Staaten, wenn nicht sogar um deren Überleben«.
Da er nicht glaube, dass es gegenwärtig eine politische Lösung gebe, stelle sich jetzt die Frage, ob sie den politischen Willen hätten, »ohne Rücksicht auf die Ansichten unserer Verbündeten« schwierige Entscheidungen zu fällen. Chruschtschow sei »zu tun bereit, was er zuvor nicht zu tun bereit war«, fuhr Acheson fort. »Zweifellos hat er das Gefühl, dass ihm die Vereinigten Staaten nicht mit Atomwaffen entgegentreten werden.«
Wenn die USA jedoch auf diese Option verzichteten, könnten sie die Russen auch nicht aufhalten. Acheson war nur wenig daran interessiert, sich die Meinungen der anderen Teilnehmer an dieser Sitzung anzuhören. Er war hier, um sie zu seinen eigenen Ansichten zu bekehren. Er glaubte, dass die Kennedy-Administration gerade vor einem großen Dilemma stand. Je mehr Chruschtschow an der amerikanischen Bereitschaft, Nuklearwaffen einzusetzen, zweifelte, desto eher könnte er Kennedy an einen Punkt bringen, wo diesem keine andere Wahl mehr blieb, als sie einzusetzen. »Man sollte Atomwaffen nicht als die letzten und schwersten Waffen betrachten, die man einsetzt«, machte er deutlich, »sondern als den ersten Schritt in einer neuen Politik, die Vereinigten Staaten vor einem Scheitern ihrer Abschreckungspolitik zu schützen.«
Achesons harter Kurs hatte ihm innerhalb der Demokratischen Partei und unter den hohen Beamten, die in diesem Raum versammelt waren, viele Feinde eingebracht. Er ließ sich davon jedoch nicht beirren und versuchte ihnen klarzumachen, dass gegenwärtig jede Untätigkeit in der Berlin-Frage Auswirkungen weit über diese Stadt hinaus hätte und die amerikanischen Interessen in der ganzen Welt gefährde. »Berlin ist für die Machtposition der Vereinigten Staaten entscheidend«, hämmerte er ihnen ein. »Wenn wir uns von dort zurückzögen, würden wir unsere gesamte Machtposition zerstören.« 12 Deshalb sollten die Amerikaner »so handeln, dass wir weder eine ganze Reihe von Niederlagen riskieren, noch uns in die ultimative Katastrophe stürzen«.
Nachdem er zuvor den Vereinigten Stabschefs und dem Verteidigungsminister versichert hatte, dass sie in militärischen Angelegenheiten natürlich das letzte Wort hätten, listete Acheson auf, was er Präsident Kennedy vorschlagen werde. Als Erstes sollte man die gewöhnlichen Sommermanöver der amerikanischen Reservetruppen intensivieren, sodass diese jederzeit kampfbereit sein würden. Außerdem sollten die Vereinigten Staaten Einheiten des STRAC (Strategic Army Corps/Strategisches Armeekorps), der operativen Eingreifreserve
der US-Armee, zu Manövern nach Europa fliegen. Einige von ihnen sollten danach dort zurückbleiben, um die alliierten Kräfte in der Nähe einer möglichen Front zu verstärken. Man sollte die Ausrüstung von U-Booten mit Polaris-Raketen beschleunigen und die anderen Raketensysteme schneller ausbauen, um die nukleare Schlagkraft zu erhöhen. Die
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