Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
nehmen. Sie ist nur noch ein Ausstellungsstück.«
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Zu den Flüchtlingen zählt auch Marlene Schmidt, die am 15. Juli 1961, knapp einen Monat vor Schließung der Grenze, die Wahl zur Miss Universum gewann.
Als amerikanische Journalisten Marlene um einen Kommentar zu solchen Berichten baten, zuckte sie resigniert mit den Achseln. »Ich hatte so etwas von denen erwartet. Ich glaube, dass es für die ostdeutsche Regierung einfach unangenehm ist, dass die Welt auf diese Weise an die Lage in Ostdeutschland erinnert wird.«
Abgesehen von ihrem Miss-Universum-Krönchen ähnelte Marlenes Geschichte der vieler anderer in dieser Zeit. Einige Wochen nachdem sie ihrer Mutter und Schwester geholfen hatte zu fliehen, entschloss sie sich, ihnen zu folgen, als sie hörte, dass die Behörden gegen sie wegen »Mittäterschaft zur Republikflucht« ermittelten. Gemäß dem 1957
erlassenen »Gesetz zur Änderung des Passgesetzes« konnte sie für dieses »Verbrechen« zu einer Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren verurteilt werden.
Die Junge Welt nannte ihren Triumph in Miami eines dieser kurzen Vergnügen des Kapitalismus, das bald vorüber sein und dem ein hartes Leben in einem unfreundlichen Land folgen werde. »Du wirst nur ein Jahr regieren, danach wird dich die Welt vergessen«, wurde Marlene prophezeit.
In dieser Hinsicht hatte die ostdeutsche Propaganda sogar teilweise recht. Im Jahr 1962 wurde Marlene Schmidt die dritte von acht Frauen des Hollywood-Schauspielers Ty Hardin, eines Stars der Westernserie »Bronco«. Vier Jahre später ließ sie sich scheiden. Davor arbeitete sie an elf Filmen als Schauspielerin, Drehbuchschreiberin oder Produzentin mit, die alle jedoch kaum Aufmerksamkeit erregten. »Doch in Hollywood habe ich schnell gemerkt, dass dieses Leben dort mit ihm nichts für mich ist«, sagte sie später zur Begründung ihrer Entscheidung, nach Deutschland heimzukehren, um dort in einem Elektromotorenwerk in Saarbrücken zu arbeiten. 43
Als sie die DDR verließ, war dies jedoch eine Wahl zwischen Freiheit und Gefängnis gewesen. Selbst nach ihrer Freilassung hätte sie nicht mehr als Ingenieurin arbeiten dürfen und wäre in einer Welt gefangen gewesen, in der sie ihre Fähigkeiten nicht hätte verwirklichen können und dürfen. Hollywood mag sie enttäuscht haben, aber ihre Flucht in den Westen hat sie gerettet.
Marlene Schmidt trug ihr Miss-Universum-Krönchen noch nicht einmal einen vollen Monat, als Ulbricht das Schlupfloch endgültig verschloss, durch das sie wie so viele andere der Repression in ihrem Land entkommen war.
TEIL III
Der Showdown
KAPITEL 13
»Der große Prüfstein«
Die unmittelbare Bedrohung für die freien Menschen befindet sich in Westberlin.
Aber dieser isolierte Vorposten ist kein isoliertes Problem. Die Bedrohung
gilt der ganzen Welt. Vor allem ist er jetzt – mehr denn je zuvor — zu dem großen
Prüfstein für den Mut und die Willensstärke des Westens geworden,
zu einem Brennpunkt, in dem unsere feierlichen, durch all die Jahre bis 1945
zurückreichenden Verpflichtungen jetzt mit den sowjetischen Ambitionen
in grundsätzlicher Gegenüberstellung zusammentreffen.
JOHN F. KENNEDY IN EINER SONDERANSPRACHE IM FERNSEHEN, 25, JULI 1961 1
Ostdeutschland gleitet Chruschtschow allmählich aus der Hand,
und das kann er nicht zulassen. Wenn Ostdeutschland erst einmal weg ist,
passiert das Gleiche mit Polen und ganz Osteuropa. Er muss etwas unternehmen,
um den Flüchtlingsstrom zu stoppen. Vielleicht baut er eine Mauer.
Und wir werden nichts dagegen unternehmen können. Ich kann das Bündnis
auf die Verteidigung Westberlins einschwören, aber ich kann nichts tun,
um Ostberlin offen zu halten.
JOHN F. KENNEDY ZUM STELLVERTRETENDEN
NATIONALEN SICHERHEITSBERATER WALT ROSTOW EINIGE TAGE SPÄTER 2
DIE VOLKSKAMMER, OSTBERLIN
DONNERSTAG, 6. JULI 1961
Michail Perwuchin, der sowjetische Botschafter in der DDR, wies seinen Berater Julij Kwizinskij an, sofort Ulbricht ausfindig zu machen. »Wir haben ein Ja aus Moskau«, sagte Perwuchin. 3
Mit seinen neunundzwanzig Jahren zählte Kwizinskij zu den neuen Hoffnungsträgern
im sowjetischen Außenministerium und war für Perwuchin wegen seines gesunden Menschenverstands und dem fehlerlosen Deutsch bereits unersetzbar. Er spürte, dass ein historischer Moment gekommen war. Nachdem Chruschtschow eine erheblich verbesserte Karte Berlins von General Jakubowskij, dem Befehlshaber der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland,
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