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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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sorgfältig geprüft hatte, war der sowjetische Führer zu dem Schluss gelangt, dass Ulbricht recht hatte: Es war möglich, Berlin abzuriegeln.
    Jahre später sollte Chruschtschow die Verantwortung für die Entscheidung, die Berliner Mauer zu bauen, ganz auf sich nehmen. »Ich war derjenige«, schrieb er in seinen Memoiren, »der sich die Lösung für das Problem ausdachte, vor dem wir als Folge der unbefriedigenden Verhandlungen mit Kennedy in Wien standen.« 4 Dabei gab Chruschtschow Ulbricht lediglich grünes Licht für eine Lösung, die der ostdeutsche Parteichef bereits im Jahr 1952 gegenüber Stalin ins Gespräch gebracht hatte. Die Sowjets sollten bei der Gestaltung und Verbesserung helfen sowie wichtige militärische Garantien für den Erfolg der Operation bieten, aber Ulbricht hatte nie lockergelassen und damit sein Wunschergebnis herbeigeführt. Überdies sollte Ulbrichts Team letztlich sämtliche Details ausarbeiten.
    Chruschtschow sagte dem westdeutschen Botschafter in Moskau, Hans Kroll: »Ich möchte Ihnen auch nicht verhehlen, dass ich es gewesen bin, der letzten Endes den Befehl dazu gegeben hat. Ulbricht hat mich zwar schon seit längerem und in den letzten Monaten immer heftiger gedrängt, aber ich möchte mich nicht hinter seinem Rücken verstecken.« Scherzhaft fügte er noch hinzu, dass Ulbricht dafür ohnehin viel zu schmächtig sei. »Die Mauer wird, wie ich schon gesagt habe, eines Tages wieder verschwinden, aber erst dann, wenn die Gründe für ihre Errichtung fortgefallen sind«, sagte Chruschtschow zu Kroll. 5
    Chruschtschow war die Entscheidung nicht leichtgefallen; er wusste, dass sie das weltweite Ansehen des Sozialismus erheblich beschädigen würde. »Was hätte ich denn tun sollen?«, fragte er sich selbst. »Man konnte sich unschwer ausrechnen, wann die ostdeutsche Wirtschaft zusammengebrochen wäre, wenn wir nicht alsbald etwas gegen die Massenflucht unternommen hätten. Es gab nur zwei Arten von Gegenmaßnahmen: die Luftblockade oder die Mauer. Die erstgenannte hätte uns in einen ernsten Konflikt mit den Vereinigten Staaten gebracht, der möglicherweise zu einem Krieg geführt hätte. Das konnte und wollte ich nicht riskieren. Also blieb nur die Mauer übrig.« 6
    Nachdem Chruschtschow seine Entscheidung nach Ostberlin durchgegeben hatte, spürte Kwizinskij Ulbricht in der Volkskammer auf. Er nahm gerade
an einer Sitzung des ostdeutschen Parlaments teil, das alles abnickte, was er beantragte – das galt im Übrigen für so gut wie alles in der DDR.
    Perwuchin teilte dem zufriedenen Ulbricht mit, dass er von Chruschtschow grünes Licht bekommen habe, die praktischen Vorbereitungen für eine Schließung der Grenze in Berlin in Angriff zu nehmen, dass er aber unter größtmöglicher Geheimhaltung vorgehen müsse. »Für den Westen muss die Aktion schnell und überraschend durchgeführt werden«, sagte Perwuchin. 7
    Sprachlos hörten die beiden Sowjets Ulbricht zu, wie er ihnen völlig emotionslos bis ins kleinste Detail einen bereits genauestens ausgearbeiteten Plan darlegte.
    Eine solche Grenze könne man, so Ulbricht, »in ihrer ganzen Länge nur mithilfe von Stacheldraht rasch abriegeln. Diesen benötige man in ausreichender Menge, ebenso Pfähle, und alles müsse insgeheim nach Berlin gebracht werden.« Er wisse, wo er sich das Material besorgen und wie er es nach Berlin bringen könne, ohne dass westliche Geheimdienste alarmiert würden. Unmittelbar vor Schließung der Grenze müsse der gesamte U- und S-Bahnverkehr gestoppt werden, sagte er. Am S-Bahnhof Friedrichstraße, über den der größte Teil des Berliner Grenzverkehrs abgewickelt wurde, wollte er eine bruchsichere Glaswand aufstellen lassen, sodass die Ostberliner keine Züge nach Westberlin besteigen konnten, um der Abriegelung zu entkommen. 8
    Die Sowjets sollten die Schwierigkeit der Operation keinesfalls unterschätzen, sagte Ulbricht zu Perwuchin. Er werde in den ersten Stunden eines Sonntagmorgens handeln, wenn der Grenzverkehr viel schwächer sei und sich viele Berliner außerhalb der Stadt aufhielten. Die 50 000 Ostberliner, die unter der Woche in Westberlin arbeiteten, die sogenannten Grenzgänger, seien am Wochenende zu Hause und würden somit Ulbricht in die Falle gehen.
    Die Details der Aktion werde er nur seinen engsten Gefolgsleuten mitteilen, so Ulbricht: dem Sicherheitssekretär des Zentralkomitees Erich Honecker, der die Operation leiten würde, dem Chef der Staatssicherheit und der Geheimpolizei Erich

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