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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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Zusammenbruch der DDR »unvermeidlich« sei, »wenn die gegenwärtige Situation der offenen Grenze bestehen bleibt«.
    Chruschtschows Sohn Sergej erinnerte sich später, dass sein Vater nach dem Wiener Gipfel »ständig über Deutschland nachdachte«. 31 Zur selben Zeit verlor der Sowjetführer das Interesse an einem Friedensvertrag mit Ostdeutschland. Nachdem er sich seit 1958 dafür eingesetzt hatte, war ihm jetzt klargeworden, dass ein solches Abkommen das größte Problem der DDR nicht lösen konnte: die Flüchtlingswelle. 32
    Auch dass es Kennedy offensichtlich ziemlich egal war, ob Chruschtschow einen einseitigen Friedensvertrag mit den Ostdeutschen abschloss, den die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten einfach ignorieren würden, brachte den Sowjetführer dazu, dessen Wert infrage zu stellen. Obwohl Ulbricht ihn immer noch verlangte, hatte sich Chruschtschow entschieden, dass es im Moment viel wichtiger sei, »alle Schlupflöcher zwischen Ost- und Westberlin zu verstopfen«. 33
    Seinem Sohn Sergej erklärte er zur selben Zeit: »Wenn man die Tür zum Westen zuschlägt, werden die Menschen aufhören davonzulaufen. Sie werden anfangen zu arbeiten, die Wirtschaft wird sich entwickeln, und nach kurzer Zeit werden die Westdeutschen an die Tür der DDR klopfen« und um bessere Beziehungen bitten. 34 »Dann wären alle Hindernisse beseitigt, um den Friedensvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten zu unterzeichnen.« 35
    Im Augenblick war Chruschtschows Problem jedoch der Stadtplan. Als die
Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg Berlin in vier Sektoren aufteilten, hatte niemand daran gedacht, dass diese Linien auf dem Papier einmal eine undurchdringliche Grenze werden könnten. »Die Geschichte hatte diese Misslichkeit geschaffen«, würde Chruschtschow Jahre später schreiben, »und wir mussten jetzt damit leben«.
    Der Sowjetführer beschwerte sich, dass diejenigen, die die Linien auf dem Plan eingezeichnet hatten, entweder »ungenügend qualifiziert« oder gedankenlos gewesen seien. »Auf der Karte, die Sie mir geschickt haben, ist es schwer, sich zurechtzufinden«, teilte er Perwuchin mit. 36 Er forderte ihn auf, Iwan Jakubowski, den Oberbefehlshaber der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, zu sich zu rufen und »ihm meine Bitte mitzuteilen, im Stab eine Karte mit eingezeichneten Grenzen zu erarbeiten und Kommentare über die Möglichkeit der Errichtung von Grenzkontrollpunkten hinzuzufügen«.
    Diesen Plan solle Perwuchin dann dem Genossen Ulbricht vorlegen und ihn fragen, wie er die Möglichkeit einschätze, die Grenze entlang dieser gezackten, fast nicht zu verteidigenden Linie zu schließen, die die beiden wichtigsten Konkurrenzsysteme der Welt trennte.
    Wie üblich in diesem Jahr 1961 war Ulbricht dem Sowjetführer jedoch schon weit voraus.
    Gleichzeitig trat auf der anderen Seite des Atlantiks, in Miami Beach, der vielleicht bekannteste bisherige DDR-Flüchtling in helles Scheinwerferlicht und erinnerte die Welt auf erstaunliche Weise an das ostdeutsche Flüchtlingsproblem – und gab wohl auch Ulbricht einen weiteren Grund, die Tore so schnell wie möglich zu verschließen.

    Marlene Schmidt: Der schönste Flüchtling des Universums
    Sie war Walter Ulbrichts ultimative Demütigung. 37
    Während der kommunistische Führer hinter den Kulissen die Abriegelung seiner Berliner Grenze vorbereitete, schritt ein weiblicher Flüchtling aus seinem Staat mit der glitzernden Krone der Miss Universum auf dem Kopf den Laufsteg einer Bühne in Miami Beach entlang. Inmitten des Blitzlichtgewitters der Fotografen hatte Ulbrichts schwerstes Problem die unverwechselbare Gestalt der »schönsten Frau der Welt« angenommen, zu der sie soeben die »Richter« dieser Veranstaltung gekürt hatten.
    Die vierundzwanzigjährige Marlene Schmidt war intelligent, blond, ein wenig schüchtern und von klassischer Schönheit. Der Spiegel beschrieb sie als »Botticelli-Figur« mit dem Gehirn einer Ingenieurin für Feinwerktechnik. 38 Aber ihre wirkliche Attraktion, die ihr Schlagzeilen in der ganzen Welt verschaffte, waren ihre Flucht in die Freiheit und ihre anschließende märchenhafte Karriere.
    Erst ein Jahr zuvor war Marlene aus Jena geflohen, der thüringischen Industriestadt, die im Zweiten Weltkrieg größtenteils zerbombt worden war. Später hatten die sowjetischen Demontagen und Reparationsforderungen die Wirtschaft der Stadt noch weiter geschädigt. Gleichzeitig waren die kommunistischen Planer dabei, die

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