Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Vereinigten Stabschefs im Pentagon sowie Vizepräsident Lyndon B. Johnson.
Die Vertreter der weichen Linie mochten ihren Spitznamen ganz und gar nicht, da sie ihn als Versuch betrachteten, ihre größere Bereitschaft zu diskreditieren, eine Verhandlungslösung für Berlin zu finden, obwohl sie doch auch einen entschlossenen Umgang mit den Sowjets und eine beschränkte Aufrüstung befürworteten. Sie waren eine eindrucksvolle Gruppe, die dem Präsidenten persönlich weit näher stand. Zu ihr gehörten: Thompson, Kennedys Berater in Fragen der Sowjetunion Charles Bohlen, der Sonderberater des Präsidenten Arthur Schlesinger, der Regierungsberater und Harvard-Professor Henry Kissinger und der Rechtsberater des Weißen Hauses und Kennedy-Vertraute Ted Sorensen. Dazu kamen noch Robert McNamara und McGeorge Bundy.
Acheson verfügte jedoch vorerst über eine Waffe, der sie nichts entgegenzusetzen hatten: einen voll ausgearbeiteten Plan, der bis ins Detail durchdacht war und noch den letzten Soldaten berücksichtigte, der zur Verteidigung Berlins eingesetzt werden sollte. Die SLOBs hatten dagegen keine Alternative zu bieten.
Dennoch organisierte Schlesinger nach der Sitzung eine Gegenoffensive der Tauben. 25 Der dreiundvierzigjährige Historiker hatte bereits dreimal in Adlai Stevensons Wahlkampfstab mitgearbeitet, bevor er sich Kennedy anschloss. Er war der festen Überzeugung, dass Männer des Geistes mit den Mächtigen zusammenarbeiten sollten, um gemeinsam noble Ziele zu erreichen. Er verwies dabei auf Beispiele aus der Geschichte, »als westliche Intellektuelle, von Turgot, Voltaire und Struensee bis zu Benjamin Franklin, John Adams und Thomas Jefferson, eine Zusammenarbeit mit der Macht als naturgegeben ansahen«. 26 Schlesinger wandte sich an den Rechtsberater des Außenministeriums, Abram Chayes, und bat ihn, einen Plan auszuarbeiten, der eine »intellektuelle« Alternative zu Achesons Hau-drauf-Strategie bot.
Acheson warnte jedoch seinen langjährigen Freund Chayes, dass er selbst bereits »weichere« Lösungen überdacht habe, diese aber niemals aufgegangen seien. »Du wirst sehen, Abe, du versuchst es, aber es lässt sich einfach nicht zu Papier bringen.« 27
PIZUNDA
ANFANG JULI 1961
Ein frustrierter Chruschtschow, der gerade in seiner Villa auf Pizunda Urlaub machte, wollte unbedingt einen besseren Stadtplan von Berlin bekommen.
Der Botschafter der UdSSR in der DDR, Michail Perwuchin, hatte ihm einen Plan geschickt, aus dem der Sowjetführer nicht erkennen konnte, ob Ulbricht recht hatte, wenn er behauptete, man könne die Stadt auf effektive Weise teilen. Chruschtschow sah, dass die Sektoren in einigen Teilen Berlins nicht selten durch eine hypothetische Linie begrenzt wurden, die der Fahrbahnmitte der Straßen folgte. An anderen Stellen verlief die Grenze mitten durch Gebäude oder Kanäle. Als er die Karte näher betrachtete, merkte Chruschtschow, dass »sich manchmal der Gehsteig in dem einen Sektor, die restliche Straße jedoch im anderen befand. Wenn man die Straße überquerte, war man schon über die Grenze.« 28
In einem Brief vom 4. Juli hatte Perwuchin Außenminister Gromyko berichtet, dass eine Abriegelung der Berliner Sektorengrenze ein logistischer Albtraum wäre, da sie jeden Tag 250 000 Berliner mit dem Zug, dem Auto oder zu Fuß überqueren würden. 29 »Deshalb wären die Errichtung baulicher Anlagen
entlang der gesamten Grenze innerhalb der Stadt und eine große Anzahl von zusätzlichen Polizeiposten nötig«, stellte er fest. Allerdings räumte er ein, dass eine Schließung der Grenze angesichts »der Verschärfung der politischen Lage« erforderlich sein könnte. Perwuchin machte sich jedoch auch über mögliche negative Reaktionen des Westens Sorgen, zu denen unter anderem ein Wirtschaftsembargo gehören könnte.
Ulbricht hatte hingegen solche Zweifel längst überwunden. Bis Ende Juni hatte er zusammen mit dem Sicherheitssekretär des ZK der SED, Erich Honecker, detaillierte Pläne entwickelt, wie man die Grenze schließen konnte. Zur selben Zeit lud er den sowjetischen Botschafter und einen jungen, aufstrebenden Diplomaten namens Julij Kwizinskij, der als Dolmetscher fungierte, in sein Haus am Döllnsee ein, um ihnen noch einmal die Dringlichkeit eines schnellen Handelns darzulegen. Die Lage in der DDR verschlechtere sich zusehends, erklärte er Perwuchin und fügte hinzu: »Bald muss es zu einer Explosion kommen.« 30 Perwuchin solle Chruschtschow unbedingt mitteilen, dass der
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