Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
mans, morgen kommt wieder was, man vergißt es wieder, es geschieht immer was mit einem. Das Leben wird sich schon richtig machen, träumt er, duselt er. Da kann man sich an einem warmen Tag vom Fenster eine Fliege fangen und in einen Blumentopf setzen und Sand drüberpusten: wenn es ne gesunde richtige Fliege ist, krabbelt sie wieder raus und das ganze Drüberpusten macht ihr nichts. Das denkt sich Franz manchmal, wie er das sieht und was anderes sieht, mir geht es gut, was geht mich das an und geht mich das an, und die Politik geht mir nichts an und wenn die Menschen so dämlich sind sich ausbeuten zu lassen, kann ick nichts für. Wer soll sich für alle Leute den Kopp zerbrechen.
Nur vom Saufen muß ihn Mieze stark zurückhalten, das ist der wunde Punkt beim Franz. Der hat ein so eingeborenes Bedürfnis zu saufen, das steckt in ihm und kommt immer wieder raus. Er sagt: dann setzt man Fett an und denkt nicht soviel. Herbert aber meint zu Franzen: »Mensch, sauf nicht so viel. Du bist ein Glückspilz. Kuck, wat biste gewesen? Zeitungshändler. Jetzt, ein Arm haste ja nicht, jetzt haste deine Mieze, dein Auskommen, wirste doch nicht wieder anfangen zu saufen wie damals bei der Ida.« »Kommt gar nicht in Frage, Herbert. Wenn ick saufe, ists ja bloß die freie Zeit. Du sitzt, und wat machste: trinkst und dann trinkste noch eenen und noch eenen. Und außerdem, kuck mir an, ick vertrags.« »Mensch, du sagst, du verträgst. Na ja, dick biste wieder ganz schön, aber kuck dir mal in Spiegel an, wat du für Oogen hast.« »Wat für Oogen?« »Na faß doch an, Säcke wien oller Mann; wie alt biste denn, machst dir alt mitm Trinken, vom Trinken wird man alt.«
»Lassen wir det. Was gibts Neues bei euch? Wat machste denn, Herbert?« »Es geht bald wieder los, wir haben zwei neue Jungs, machen sich fein. Kennste Knopp, der wo Feuer schlukken kann? Siehste, der hat sich die Jungs rangeholt. Sagt er zu die: wat, ihr wollt mit mir mitmachen? Müßt mal erst zeigen, wat ihr könnt. Achtzehn, neunzehn Jahre alt. Also Knopp steht drüben an der Danziger Ecke, und sieht zu, was die können. Haben die n altes Weib uffm Kieker, da haben sie zugesehen, wie die Geld uff die Bank abholt. Die immer hinterher. Knopp denkt, die geben ihr mal irgendwo ein kleenen Schups und dann ein Griff und adje Sie. Nee, die lauern jeduldig, und dann loofen sie mit, wo sie wohnt, und da stehen sie schon, wo sie antippelt, die Olle, und kucken ihr ins Gesicht. Na sind sie Madame Müller, so heeßt sie nämlich wirklich, und dann quatschen sie wat mit der, bis drüben die Elektrische ankommt, und dann Pfeffer ins Gesicht, die Tasche weg, die Tür zugeschmissen, rüber übern Damm. Knopp schimpft und sagt, det war ganz überflüssig, det die in die Elektrische müssen; eh die die Haustür uffkriegt und bevor da einer weeß, wer et war, konnten sie ruhig drüben in die Kneipe sitzen. Machen sich ja verdächtig durch das Loofen.« »Sind wenigstens balde abgesprungen?« »Ja. Und dann haben die beeden, wie der Knopp so rumnörgelt, noch wat gemacht: haben den Knopp mitgenommen und dann einfach ein Mauerstein genommen um neun Uhr abends und in die Romintener Straße Scheibe in ein Uhrgeschäft eingetöppert, mit der Hand rin und los. Und nicht gekriegt. Die Jungs sind frech wie Oskar, mitten im Gedränge nachher stehengeblieben. Ja die könn wir brauchen.« Franz läßt den Kopf sinken: »Kesse Jungs.« »Na du brauchst et ja nicht.« »Nee – ick brauch et nicht. Und für später zerbrech ick mir nicht den Kopp.« »Bloß det Saufen lassen, Franz.«
Franzens Gesicht zittert: »Warum nich saufen, Herbert, wat wollt ihr denn alle von mir. Ick kann doch nischt, ick kann nischt, ick bin hundert Prozent Invalide.« Er blickt Herberten in die Augen, seine Mundwinkel sind runtergezogen: »Weeßte, an mir mäkeln sie alle rum, der eene sagt: ick soll nicht saufen, der andere sagt, geh nicht mit Willi, der andere sagt: Mensch, laß bloß die Politik.« »Politik, dagegen hab ick nu wieder nischt, det kannste.«
Und da lehnt sich Franz in seinem Stuhl zurück und sieht immer wieder seinen Freund Herbert an und der denkt: dem looft das Gesicht auseinander und das ist ein gefährlicher Kerl, so gutmütig unser Franz sonst ist. Franz flüstert, stößt ihn mit dem ausgestreckten Arm an: »Mir haben sie zum Krüppel gemacht, Herbert, siehste mich, ick bin zu nischt gut.« »Nu mach mal hallwege. Nu sag det mal Eva oder der Mieze.« »Zum Bettliegen, ja, det weeß ick.
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