Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
ihm Koffein- und Kampferinjektionen, Traubenzucker und Kochsalz spritzen sie ihm in die Adern, die Aussichten der Darmeinläufe werden an seinem Bett besprochen, und vielleicht soll man ihn doch extra Sauerstoff atmen lassen, die Maske kriegt er ja nicht ab. Er denkt, was kümmern sich die hohen Herren Ärzte um mir. Da sterben jeden Tag in Berlin 100 Menschen, und wenn einer krank ist, will kein Doktor zu einem kommen, wenn man nicht grade viel Geld hat. Nun kommen sie alle angelaufen, aber die kommen gar nicht an, weil sie mir helfen wollen. Denen bin ich heute so schnurz, wie ich gestern schnurz war, denen bin ich vielleicht interessant, und darum ärgern sie sich über mir, daß sie mit mir nicht fertig werden. Und das wollen sie sich nich gefallen lassen, aber partout nicht, sterben ist gegen die Hausordnung hier, gegen die Anstaltsdiszplin. Wenn ich krepiere, kriegen sie vielleicht einen reingewürgt, und außerdem wollen sie mir nachher den Prozeß noch machen wegen Mieze und was noch, dazu muß ich erst mal grade auf die Beine stehen, das sind mir die richtigen Henkersknechte, nicht mal Henker, Knechte vom Henker, Zutreiber, und dann gehen sie noch rum im Doktormantel und schämen sich nich.
Das ist ein höhnisches Tuscheln unter den Eingesperrten auf der Station, wenn wieder Visite war und Franz liegt da wie vorher, und die haben sich abgeplagt mit dem, immer neue Spritzen, den stellen sie noch nächstens ganz auf den Kopf, jetzt wollen sie schon Blutübertragung auf den machen, aber woher Blut, so dumm ist keener hier, daß er sich von die läßt Blut abzapfen, sollen doch den armen Kerl zufrieden lassen, des Menschen Wille ist sein Himmelreich, und was einer will, das will er eben. Das ganze Haus fragt bloß noch, was kriegt denn heut unser Franz für ne Spritze, und sie lachen sich eins hinter die Ärzte, denn bei dem nützt es eben nicht, da kommen sie nicht durch, das ist ein harter Junge, der ist von die härtsten, der zeigts ihnen allen, der weeß, was er will.
Die Herren Ärzte ziehen sich im Ordinationszimmer weiße Mäntel an, es sind der Herr Oberarzt, Assistenzarzt, Volontärarzt, Medizinalpraktikant, und sie sagen alle: es ist ein Stuporzustand. Die jüngeren Herren haben eine besondere Auffassung von diesem Zustand: sie sind geneigt, das Leiden von Franz Biberkopf für psychogen zu halten, also seine Starre nimmt von der Seele ihren Ausgang, es ist ein krankhafter Zustand von Hemmung und Gebundenheit, den eine Analyse schon klären würde, vielleicht als Rückgang auf älteste Seelenstufen, wenn – das große Wenn, das sehr bedauerliche Wenn, schade, dies Wenn stört erheblich –, wenn Franz Biberkopf sprechen würde und sich mit ihnen am Versammlungstisch niederlassen würde, um gemeinsam mit ihnen den Konflikt zu liquidieren. Die jüngeren Herren haben mit Franz Biberkopf ein Locarno im Auge. Von diesen jüngeren Herren, den beiden Volontären und dem Medizinalpraktikant, kommt nach der Visite vormittags und nachmittags je einer in den kleinen vergitterten Wachsaal zu Franz, und versucht, nach besten Kräften mit ihm eine Unterhaltung in die Wege zu setzen. Sie schlagen zum Beispiel die Ignorierungsmethode ein: sie reden ihm so zu, als wenn er alles hört, und das ist auch richtig, und als wenn man ihn verlocken könnte, so aus seiner Isolierung herauszukommen und die Sperre zu durchbrechen.
Als das nicht recht geht, setzt ein Volontär es durch, daß man von der Anstalt herüber einen Elektrisierapparat bringt, und daß man Franz Biberkopf faradisiert, und zwar am Oberkörper, und zuletzt den faradischen Strom besonders an die Kiefergegend ansetzt, an den Hals und den Mundboden. Die Partie müßte nun besonders erregt und gereizt werden.
Die älteren Ärzte sind frische Leute, weltkundig, die sich gerne die Beine vertreten, um nach dem festen Haus zu spazieren, sie lassen alles zu. Der Herr Oberarzt sitzt im Ordinationszimmer am Tisch vor den Akten, der Oberpfleger reicht sie ihm von links herüber, die beiden jungen Herren, die junge Garde, Assistenzarzt und Medizinalpraktikant, stehen am vergitterten Fenster, und man plaudert hin und her. Die Schlafmittelliste ist durchgesehen, der neue Pfleger hat sich vorgestellt und ist mit dem Oberpfleger raus, die Herren sind unter sich, sie blättern im Protokoll vom letzten Kongreß in Baden-Baden. Der Oberarzt: »Nächstens glauben Sie auch, daß die Paralyse seelisch bedingt ist und die Spirochäten sind zufällige Läuse im Gehirn. Die
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