Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
der, der sich nicht mal vor seiner Frau schämt, was er sollte, vor der ganzen Welt dazu auch.
2 mal 2 ist 4, da ist nicht dran zu tippen.
Sie sehen hier einen Mann, Verzeihung auf dem Dienstgang, ich habe solche Magenschmerzen. Ich werd mir zu beherrschen wissen. Ein Glas Wasser, Frau Schmidt. Das Luder muß überall die Nase rinstecken.
Franz auf dem Rückzug
Franz bläst den Juden den Abschiedsmarsch
Franz Biberkopf, stark wie eine Kobraschlange, aber wacklig auf den Beinen, ist aufgestanden und ist nach der Münzstraße zu den Juden gegangen. Er ging nicht direkt hin, er machte einen mächtigen Umweg. Der Mann will mit allem aufräumen. Der Mann will reinen Tisch machen. Da gehen wir wieder, Franze Biberkopf. Trockenes Wetter, kalt, aber frisch, wer möchte jetzt im Hausflur stehen, Straßenhändler sein und sich die Zehen abfrieren. In Ehren treu. Ein Glück, daß man aus der Stube raus ist und das Quieken von die Weiber nicht hört. Hier ist Franze Biberkopf, der geht auf die Straße. Alle Kneipen leer. Warum? Die Penner schlafen noch. Die Wirte können ihre Jauche alleene trinken. Aktienjauche. Wir haben keene Lust dazu. Wir trinken Schnabus.
Franz Biberkopf schob ruhig seinen Leib im graugrünen Soldatenmantel durch die Menschen, kleine Frauen, die an Wagen Gemüse, Käse und Heringe kauften. Bollen wurden ausgerufen.
Die Leute tun, was sie können. Haben Kinder zu Hause, hungrige Mäuler, Vogelschnäbel, klapp auf, klapp zu, klapp auf, klapp zu, auf, zu, auf zu, auf zu.
Franz ging rascher, stampfte um die Ecke. So, freie Luft. Er ging an den großen Schaufenstern ruhiger. Was kosten Stiefel? Lackschuh, Ballschuh, muß tipptopp aussehen; so am Fuß, sone Kleene mit Ballschuhe. Der affige Lissarek, der Böhme, der alte Kerl mit den großen Nasenlöchern draußen in Tegel, der ließ sich von seiner Frau, oder was sich dafür ausgab, alle Paar Wochen ein Paar schöne seidene Strümpfe bringen, ein Paar neue und ein Paar alte. Ist zum Piepen. Und wenn sie sie stehlen sollte, er mußte sie haben. Einmal haben sie ihn erwischt, wie er die Strümpfe anhatte auf seine dreckige Beine, son Nulpe, und kuckt sich nun seine Beine an und geilt sich dran uff und hat rote Ohren, der Kerl, zum Piepen. Möbel auf Teilzahlung, Küchenmöbel in 12 Monatsraten.
Mit Genugtuung wanderte Biberkopf weiter. Er war nur ab und zu genötigt, auf das Trottoir zu blicken. Er prüfte seine Schritte und das schöne, feste, sichere Pflaster. Aber dann glitten seine Blicke im Ruck die Häuserfronten hoch, prüften die Häuserfronten, versicherten sich, daß sie stillstanden und sich nicht regten, trotzdem eigentlich so ein Haus viele Fenster hat und sich leicht vornüber beugen kann. Das kann auf die Dächer übergehen, die Dächer mit sich ziehen; sie können schwanken. Zu schwanken können sie anfangen, zu schaukeln, zu schütteln. Rutschen können die Dächer, wie Sand schräg herunter, wie ein Hut vom Kopf. Sind ja alle, ja alle schräg aufgestellt über den Dachstuhl, die ganze Reihe lang. Aber sie sind angenagelt, starke Balken drunter und dann die Dachpappe, Teer. Fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein. Guten Morgen, Herr Biberkopf, wir gehen hier aufrecht, Brust heraus, Rücken steif, alter Junge, die Brunnenstraße lang. Gott erbarmt sich aller Menschen, wir sind deutsche Staatsbürger, wie der Gefängnisdirektor gesagt hat.
Einer mit einer Ledermütze, schlaffes weißes Gesicht, kratzte mit dem kleinen Finger ein Furunkelchen an seinem Kinn, dabei hing seine Unterlippe. Einer mit einem großen Rücken und hängendem Hosenboden stand schräg neben ihm, sie versperrten den Weg. Franz ging um sie rum. Der mit der Ledermütze polkte in seinem rechten Ohr.
Er bemerkte zufrieden, daß alle Menschen ruhig die Straße entlangzogen, die Kutscher luden ab, die Behörden kümmerten sich um die Häuser, es braust ein Ruf wie Donnerhall, alsdann können auch wir hier gehen. Eine Plakatsäule an der Ecke, auf gelbem Papier stand mit schwarzen lateinischen Buchstaben: »Hast du gelebt am schönen Rhein«, »Der König der Mittelstürmer«. Fünf Mann standen in einer kleinen Runde auf dem Asphalt, schwangen Hämmer, zerspalteten den Asphalt, den in der grünen Wolljacke kennen wir, bestimmt, der hat Arbeit, das können wir auch machen, später mal, man hält mit der rechten Hand, zieht hoch, greift zu, dann runter, hau. Das sind wir Arbeitsleuheute, das Proletariat. Rechts hoch, links zu, hau. Rechts hoch, links zu, hau.
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