Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
Rindsvieh, von Weibern, und ich soll mir beherrschen.
Franz lacht lautlos weiter, er sieht nach rückwärts durch das kleine Autofenster auf die Straße, ja, das Auto verfolgt sie, sie sind entdeckt; warte, das ist ihre Strafe, und wenn ich selbst bei verschütt gehe, die sollen nicht mit mir umspringen, die Gauner, die Strolche, die Verbrecherbande.
Verflucht ist der Mann, spricht Jeremia, der sich auf Menschen verläßt. Er gleicht einem Verlassenen in der Steppe. Er weilt im Dürren auf salzigem Boden, der nicht bewohnt ist. Das Herz ist trügerisch und verderbt; wer mag es kennen?
Da hat Reinhold dem Mann ihm gegenüber ein heimliches Zeichen gegeben, im Wagen wechselt Finsternis und Licht, es wird eine Jagd. Heimlich hat Reinhold seine Hand an den Türdrücker dicht neben Franz geschoben. Sie sausen in eine breite Allee ein. Franz sieht noch nach rückwärts. Er wird mit einmal an der Brust gepackt, nach vorn gezerrt. Er will aufstehen, er schlägt in Reinholds Gesicht. Der ist aber grausig stark. Der Wind braust in den Wagen, Schnee fliegt hinein. Franz wird schräg über die Ballen gegen die offene Tür gestoßen, er greift schreiend nach Reinholds Hals. Da fährt ein Stockhieb von der Seite auf seinen Arm. Der zweite im Wagen versetzt ihm einen schiebenden Stoß gegen die linke Hüfte. Von den Tuchballen herunter wird Franz durch die offene Tür liegend geschoben; er klammert sich mit den Beinen an, woran er kann. Seine Arme halten den Wagentritt umschlungen.
Da trifft ihn ein Stockschlag auf den Hinterkopf. Gebückt über ihm stehend wirft Reinhold den Körper auf die Straße. Die Tür knallt zu. Das Verfolgerauto braust über den Menschen. Die Jagd geht im Schneetreiben weiter.
Freuen wir uns, wenn die Sonne aufgeht und das schöne Licht kommt. Das Gaslicht kann ausgehen, das elektrische. Die Menschen stehen auf, wenn ihr Wecker schnurrt, es hat ein neuer Tag begonnen. Wenn vorher der 8.April war, ist jetzt der 9., wenn es ein Sonntag war, ist jetzt ein Montag. Das Jahr hat sich nicht geändert, der Monat auch nicht, aber es ist eine Änderung eingetreten. Die Welt hat sich weitergewälzt. Die Sonne ist aufgegangen. Es ist nicht sicher, was diese Sonne ist. Die Astronomen beschäftigen sich viel mit diesem Körper. Er ist ja, sagen sie, der Zentralkörper unseres Planetensystems, denn unsere Erde ist nur ein kleiner Planet, und was sind eigentlich wir denn? Wenn so die Sonne aufgeht und man sich freut, sollte man eigentlich betrübt sein, denn was ist man denn, 300 000mal so groß wie die Erde ist die Sonne, und was gibt es alles noch für Zahlen und Nullen, die alle nur sagen, daß wir eine Null sind oder gar nichts, völlig nichts. Eigentlich lächerlich, sich da zu freuen.
Und doch freut man sich, wenn das schöne Licht da ist, weiß und stark, und kommt auf den Straßen, in den Zimmern erwachen alle Farben, und die Gesichter sind da, die Züge. Es ist wohlig, Formen zu tasten mit den Händen, aber es ist ein Glück, zu sehen, zu sehen, Farben zu sehen, Linien. Und man freut sich und kann zeigen, was man ist, man tut, man erlebt. Wir freuen uns auch im April über das bißchen Wärme, wie freuen sich die Blumen, daß sie wachsen können. Es muß ein Irrtum, ein Fehler sein in den schrecklichen Zahlen mit den vielen Nullen.
Geh nur auf, Sonne, du erschreckst uns nicht. Die vielen Kilometer sind uns gleichgültig, der Durchmesser, dein Volumen. Warme Sonne, geh nur auf, helles Licht, geh auf. Du bist nicht groß, du bist nicht klein, du bist eine Freude.
Nun ist sie soeben froh aus dem Pariser Nordexpreß gestiegen, die kleine unscheinbare Gestalt im pelzbesetzten Mantel, mit ihren Riesenaugen und ihren kleinen Pekinesen Black und China im Arm. Photographen und Kurbelrummel. Leise lächelnd läßt Raquil alles über sich ergehen, freut sich am meisten über einen Strauß gelber Rosen der spanischen Kolonie, denn Elfenbein ist ihre Lieblingsfarbe. Mit den Worten: »Ich bin wahnsinnig neugierig auf Berlin«, besteigt die berühmte Frau ihren Wagen und entschwindet der nachwinkenden Menschenmenge in der morgendlichen Stadt.
SECHSTES BUCH
Jetzt seht ihr Franz Biberkopf nicht saufen und sich verstecken. Jetzt seht ihr ihn lachen: man muß sich nach der Decke strekken. Er ist in einem Zorn, daß man ihn gezwungen hat, es soll ihn keiner mehr zwingen, der Stärkste nicht. Er hebt gegen die dunkle Macht die Faust, er fühlt etwas gegen sich stehen, aber er kann es nicht sehen, es muß noch geschehen,
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