Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
daß der Hammer gegen ihn saust.
Es ist kein Grund zu verzweifeln. Ich werde, wenn ich diese Geschichte weitererzähle und bis zu ihrem harten, schrecklichen, bitteren Ende geführt habe, noch oft das Wort gebrauchen: es ist kein Grund zu verzweifeln. Denn der Mann, von dem ich berichte, ist zwar kein gewöhnlicher Mann, aber doch insofern ein gewöhnlicher Mann, als wir ihn genau verstehen und manchmal sagen: wir könnten Schritt um Schritt dasselbe getan haben wie er und dasselbe erlebt haben wie er. Ich habe versprochen, obwohl es nicht üblich ist, zu dieser Geschichte nicht stille zu sein.
Es ist die grausige Wahrheit, was ich berichte von Franz Biberkopf, der ahnungslos von Hause wegging, wider seinen Willen bei einem Einbruch mitmachte und vor ein Auto geworfen wurde. Er liegt unter den Rädern, der unzweifelhaft die redlichsten Bemühungen gemacht hat, seinen ordentlichen erlaubten und gesetzlichen Weg zu gehen. Aber ist das nicht grade, um zu verzweifeln, welcher Sinn soll denn in diesem frechen, ekelhaften und erbärmlichen Unsinn liegen, welcher verlogene Sinn soll denn dahineingelegt werden und vielleicht gar ein Schicksal für Franz Biberkopf daraus gemacht werden?
Ich sage: es ist kein Grund zu verzweifeln. Ich weiß schon einiges, vielleicht sehen manche, die dies lesen, schon einiges. Eine langsame Enthüllung geht hier vor, man wird sie erleben, wie Franz sie erlebt, und dann wird alles deutlich sein.
Unrecht Gut gedeihet gut
Weil Reinhold so im Zuge war, machte er gleich weiter. Er kam erst Montag mittags nach Hause. Breiten wir, werte Brüder und Brüderinnen, den Schleier der Nächstenliebe 10 Quadratmeter über die zwischenliegende Zeit. Über die vorangehende konnten wir es leider nicht. Wir begnügen uns damit, festzustellen, daß, nachdem Montag früh pünktlich die Sonne aufgegangen war und dann allmählich der bekannte Rummel in Berlin losging – und Schlag ein Uhr mittags, also 13 Uhr, schmiß Reinhold die überfällige Trude aus seiner Stube, die seßhaft war und nicht wollte. Wie wohl ist mir am Wochenend, tulli tulli, wenn der Ziegenbock zur Ziege rennt, tulli tulli. Ein anderer Erzähler hätte dem Reinhold wahrscheinlich jetzt eine Strafe zugedacht, aber ich kann nichts dafür, die erfolgte nicht. Reinhold war heiter und zur Steigerung seiner Heiterkeit, zum Zwecke seiner zunehmenden Erheiterung schmiß er die Trude raus, die seßhafter Natur war und infolgedessen nicht wollte. Er selbst wollte eigentlich auch nicht, die Tat vollzog sich aber trotz seines Nichtwollens gewissermaßen automatisch, sie vollzog sich hauptsächlich unter Beteiligung seines Mittelhirns: Er war nämlich stark alkoholisiert. So stand dem Mann sogar noch das Schicksal bei. Die Alkoholtränkung gehört zu den Dingen, die wir der vergangenen Nacht überlassen haben, wir müssen nur noch rasch, um weiterzukommen, mit einigen Restbeständen aufräumen. Reinhold, dieser Schwächling, der für Franzen lächerlich war, der nie ein hartes oder energisches Wort zu einer Frau sagen konnte, konnte mittags 13 Uhr die Trude furchtbar verprügeln, ihr die Haare ausreißen, einen Spiegel an ihr zerschlagen, alles konnte er, und ihr zuletzt das Maul, als sie schrie, so blutig schlagen, daß es am Abend, wo sie mit dem Maul zum Doktor ging, schon kolossal verschwollen war. Das Mädchen hatte innerhalb weniger Stunden ihre ganze Schönheit eingebüßt, und zwar infolge der energischen Eingriffe von Reinhold, den sie deswegen auch haftbar machen wollte. Vorläufig mußte sie Salbe auf die Lippen tun und die Klappe zumachen. Alles dieses konnte, wie gesagt, Reinhold, weil ein paar Glas Schnaps sein Großhirn narkotisierten und infolgedessen sein Mittelhirn freie Hand bekam, das bei ihm im ganzen tüchtiger war.
Er selbst, wie er am späten Nachmittag zwar bei üblem Befinden, aber doch bei sich war, er selbst stellte verdutzt einige begrüßenswerte Veränderungen in seiner Wohnung fest. Offenbar war Trude weg. Und zwar völlig. Denn der Korb war auch weg. Ferner war der Spiegel kaputt und jemand hatte ordinär auf den Boden gespuckt und zwar blutig. Reinhold besah sich den Schaden ringsherum. Sein eigner Mund war intakt, dann hatte die Trude gespuckt, und er hatte ihr die Schnauze zerkloppt. Was ihn in solche Hochstimmung und Hochachtung vor sich versetzte, daß er laut lachte. Er nahm sich einen Spiegelrest auf und sah sich drin an: was Reinhold, das hast du geschafft, das hätt ich ja nie für möglich gehalten!
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