Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
nicht weg, soll ick, wat soll ick. Die haben mir hergelockt; sone Gauner. Ick muß Schmiere stehen.
Franz stand da, zitterte, befühlte seinen geknufften Arm. Krankheiten sollen Gefangene nicht verheimlichen, aber auch nicht erdichten; wird bestraft. Totenstill das Haus; vom Bülowplatz her Autotuten. Hinten über den Hof knackte und rumorte es, gelegentlich blitzte eine Taschenlampe auf, husch ging einer mit einer Blendlaterne in den Keller. Die haben mir hier eingesperrt, lieber trockenes Brot und Salzkartoffeln, als hier stehen für sone Gauner. Mehrere Taschenlampen blitzten auf dem Hof, der Mann mit der Postkarte fiel Franz ein, merkwürdiger Kerl, merkwürdiger Kerl. Und er kam nicht weg vom Fleck, er war an die Stelle gebannt; seit Reinhold ihn geschlagen hatte, war das, da war er angenagelt. Er wollte, er mochte, aber es ging nicht, es ließ ihn nicht los. Die Welt ist von Eisen, man kann nichts machen, sie kommt wie eine Walze an, auf einen zu, da ist nichts zu machen, da kommt sie, da läuft sie, da sitzen sie drin, das ist ein Tank, Teufel mit Hörnern und glühenden Augen drin, sie zerfleischen einen, sie sitzen da, mit ihren Ketten und Zähnen zerreißen sie einen. Und das läuft, und da kann keiner ausweichen. Das zuckt im Dunkeln; wenn es Licht ist, wird man alles sehen, wie es daliegt, wie es gewesen ist.
Ich möchte weg, ich möchte weg, die Gauner, die Hunde, ich will das gar nicht. Er zog an seinen Beinen, das wär ja gelacht, wenn ich nicht wegkönnte. Er rührte sich. Als wenn mich einer in Teig geschmissen hätte und krieg das Zeug nicht los. Aber es ging, es ging. Schwer ging es, aber es ging. Ich komm vorwärts, die sollen nur klauen, ick mach mir dünne. Er zog den Mantel aus, ging auf den Hof zurück, langsam, ängstlich, aber den Mantel müßte er denen ins Gesicht schmeißen, ins Dunkel schmiß er den Mantel gegen das Hinterhaus. Da kamen wieder Lichter, zwei Mann liefen an ihm vorbei, mit Mäntel, ganze Bündel, beladen, die beiden Autos hielten vor dem Torweg; im Vorübergehen schlug einer der Männer wieder Franzen auf den Arm, ein eiserner Schlag: »Alles in Ordnung, was?« Das war Reinhold. Jetzt rannten zwei weitere Männer mit Körben vorbei und wieder zwei, hin und her, ohne Licht, an Franzen vorbei, in dem nichts vorging als Zähnebeißen, Fäusteballen. Sie fuhrwerkten wie die Wilden im Hof und über den Flur hin und her im Dustern, sonst hätten sie sich vor Franz erschreckt. Denn das war nicht mehr Franz, der da stand. Ohne Mantel, ohne Mütze, die Augen vorgetrieben, die Hände in den Taschen und lauernd, ob er ein Gesicht erkennt, wer ist denn das, wer ist das, kein Messer da, warte du, vielleicht in der Jacke, Jungekens, ihr kennt Franz Biberkopf nich, werdet ihr erleben, wenn ihr den anfaßt. Da rannten alle vier beladen hintereinander raus, und ein kleiner Runder faßt Franz am Arm: »Komm, Biberkopf, Abfahrt, alles im Lot.«
Und Franz zwischen andere in ein großes Auto verstaut. Reinhold sitzt neben ihm, der preßt Franz hart neben sich, das ist der andere Reinhold. Sie fahren drin ohne Licht. »Was drückst du mir«, flüstert Franz; kein Messer da.
»Halts Maul, halt die Fresse, Kerl; keiner sagt ein Mucks.« Das vordere Auto jagt; der Chauffeur vom zweiten Wagen sieht rechts zurück, gibt Gas, schreit nach rückwärts durch das offene Fenster: »Kommt wer nach.«
Reinhold steckt den Kopf zum Fenster raus: »Dalli, dalli, um die Ecke.« Der Wagen immer nach. Da sieht beim Schein einer Laterne Reinhold Franzens Gesicht: der strahlt, der hat ein glückliches Gesicht. »Wat lachste, Affe, du bist wohl ganz verrückt.« »Kann ick doch lachen, geht dir nischt an.« »Dat du lachst?« So ein Tagedieb, ein Achtgroschenjunge. Und plötzlich blitzt es durch Reinhold, woran er die ganze Fahrt nicht gedacht hatte: das ist der Biberkopf, der ihn hat sitzen lassen, der ihm die Weiber abtreibt, das ist ja bewiesen, dieses freche, dicke Schwein, und dem hab ick auch mal alles erzählt von mir. Plötzlich denkt Reinhold nicht an die Fahrt.
Wasser im schwarzen Wald, ihr liegt so stumm. Furchtbar ruhig liegt ihr. Eure Oberfläche bewegt sich nicht, wenn es im Wald stürmt und die Kiefern ihr Biegen anfangen und die Spinnweben zwischen den Ästen zerreißen und das Splittern losgeht. Der Sturm dringt nicht zu euch herunter.
Dieser Junge, denkt Reinhold, sitzt dick im Fett, und er denkt woll, das Auto hinten wird uns kriegen, und ich sitze hier, und er hat mir Reden gehalten, das
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