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Berlin - ein Heimatbuch

Berlin - ein Heimatbuch

Titel: Berlin - ein Heimatbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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Murat! 1928 wurde er fertiggestellt, war aber schon damals zu klein. Von 1936 bis 1941 entstand dann das neue Flughafengebäude, als Teil der von Hitler geplanten Nord-Süd-Achse der ›Welthauptstadt Germania‹.«
    Ich halte den Drachen testweise in die Höhe.
    »Lass mich raten: Das ist das Riesending dahinten, was heute noch steht?«
    »Ja. Und es ist verdammt gut erhalten. Norman Foster, der Stararchitekt, hat übrigens mal gesagt, für ihn sei Tempelhof die ›Mother of Airports‹.«
    »Yo, Mother of Airports, here we come!«
    Respekt, wem Respekt gebührt. Ich salutiere kurz und versuche, meinen Drachen in die Luft zu bekommen. Auf Karls Mithilfe warte ich vergeblich. Doktor Allwissend ist noch nicht am Ende seines Lateins angelangt.
    »Guck mal, man sieht von hier aus die Treppentürme. Die waren im Dritten Reich als Tribüne gedacht, damit die Berliner vom Dach aus den Truppenaufmärschen zuschauen konnten. Während des Zweiten Weltkriegs haben sie hier die Stukas, die berüchtigten Sturzkampfbomber, gebaut. Tausende Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus ganz Europa haben die Bomber vor Ort zusammengeschraubt. Seine Glanzzeit hatte der Flughafen aber während der Berlin-Blockade 1948 bis 1949: Da wurde das von der Versorgung abgeschnittene Westberlin von den Alliierten komplett aus der Luft versorgt. Daher der Name Luftbrücke. Der Flughafen war dabei so was wie der Hauptdarsteller – und wurde weltweit zu einem Symbol der Freiheit. Die sogenannten Rosinenbomber landeten teilweise im 90-Sekunden-Takt, stell dir das mal vor! Eine logistische Meisterleistung!«
    »Mann, da ging’s ja ab wie in Malle zur Hauptsaison«, funke ich dazwischen.
    »1970 wurde der Flughafen Tegel eröffnet, da war’s erst mal vorbei mit dem zivilen Luftverkehr. Von 1985 bis 2008 gab es noch mal ein Revival. Heute ist endgültig Schluss und das Gebäude steht unter Denkmalschutz.«
    »Dich stellen sie irgendwann auch mal unter Denkmalschutz – als letzten biologischen Datenträger.«
    Jetzt reicht’s nämlich echt. Ich kämpfe hier einen ebenso heroischen wie derzeit noch vergeblichen Kampf mit widerspenstigen Lenkschnüren und der Kerl hat nichts anderes zu tun, als die gesamte Weltgeschichte aufzufädeln.
    Karl holt Luft, nimmt die Brille ab und poliert halbherzig die dicken Gläser. Dann versucht er, sein Schnäuztuch aus der Tasche zu zerren.
    »Genug geschnäuzt für heute. Zeig mal, ob du nur Theorie oder auch Praxis auf dem Kasten hast. Hilf mir gefälligst, diese blöden Schnüre zu sortieren. Mann, ich dachte, das wär nur eine Schnur!«
    »Das ist ein Lenkdrachen, der hat mehrere Lenkleinen. Laut Bedienungsanleitung muss die Leine A ...«
    »Das ist wieder nur Theorie. Zeig Praxis, Mann.«
    Zu meinem Erstaunen fasst Karl tatsächlich mit an. Und entwirrt unerwartet geschickt das Makramee aus Lenkschnüren.
    »Wie groß ist der Park eigentlich?«
    Kann der Mann nicht einfach mal stumm bei der Sache sein?
    »Keine Ahnung«, quetsche ich zwischen den Zähnen hervor, weil mich meine in den Leinen verhedderten Finger mehr beschäftigen als seine dummen Fragen. »Ich glaube, in der Zeitung stand was von 300 Hektar.« Nicht, dass er womöglich denkt, er wäre der Einzige, der gedruckte Buchstaben in Angeberwissen verwandeln kann.
    »300 Hektar? Dann ist das ja der größte Park in Berlin!« Prompt lässt Karl vor lauter Begeisterung die Schnüre los – was für ein Hampelmann! Entnervt lasse ich mich auf die Wiese fallen. Vielleicht bin ich ja doch zu alt für solche Kindereien wie Kiting. Und erst recht für solche Zeitgenossen wie Karl. Das Leben ist doch kein TKKG-Spielplatz. Immerhin scheint Mister Roboto zum ersten Mal, seitdem wir auf dem riesigen Gelände sind, so etwas Ähnliches wie Notiz von mir und meinen Gefühlen zu nehmen.
    »Entschuldige, Murat. Das war dämlich von mir. Aber 300 Hektar sind einfach sensationell. Dagegen wirkt ja selbst der Große Tiergarten wie die Spielwiese eines Kleingärtnervereins. Was haben die denn hier jetzt auf Dauer vor?«
    Während sich seine halbherzige Entschuldigung also als neue Frage entpuppt, habe ich es endlich geschafft, meine Finger aus den Fängen der Drachenschnüre zu befreien. Zeit wurde es, ich kam mir schon vor wie ein vom bösen Drachen entführter Prinz.
    »Ich weiß auch nicht. In der Zeitung stehen fast jede Woche irgendwelche neuen Fantasy-Storys. Mal wollen die den Park fluten und daraus einen See machen, dann wieder einen Berg anlegen oder Obstbäume

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