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Berlin - ein Heimatbuch

Berlin - ein Heimatbuch

Titel: Berlin - ein Heimatbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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landest du sofort in der Intellektuellen-Schublade.
    »Zum Bahnhof Zoo, Meesta «, versuche ich mich beim Kutscher mit Volkstümlichkeit einzuschleimen, während Karl stöhnend seine zwei Ladungen Folianten in den Fond ergießt.
    » Zum Zoo, allet klarolinski. « Egal, wie volksnah man sich als Eingeborener zu geben versucht, jeder durchschnittliche Berliner Taxenbändiger wird unsereins in Pseudoberliner Redewendungen immer zu übertreffen suchen. Kaum hat sich unsere Fuhre in Bewegung gesetzt, packt unseren Chauffeur leider der ultimative Kommunikationsehrgeiz.
    » Und, wat studiern wir denn Schönet? «
    Ich werfe einen Blick in den Innenspiegel. Karl ist voll mit dem Sortieren beschäftigt.
    »Na ja«, übernehme ich also, »wir studieren ... das Leben.«
    Falsche Antwort.
    Mr. Taxi-Driver mustert mich durch seine voll verspiegelten Sonnengläser. Das Modell würde auch einem Pornodarsteller beim Außendreh gute Dienste leisten. Nur seltsam, dass mir das Teil irgendwie bekannt vorkommt.
    » So so, det Leben, vastehe. «
    Ich spüre, wie es in ihm gärt.
    » Mann, Mann, wat wisst ihr Flitzpiepen schon vom Leben? «, raunt das Männchen und drückt aufs Gas.
    » Schon ma ’ne 24-Stunden-Schicht abjerissen, bei sechs Euro fuffzich die Stunde? Nee, wa? Da kennt ihr nüscht von. Vati zahlt. Mutti wäscht und büjelt. Und Sohnemann studiert – von Beruf Klugscheißer. Und nachher sind so Typen wie ihr arbeitslos – und wer zahlt dann für euch? Icke! Mit meene Steuern! «
    Vor uns bildet sich ein Stau. Jetzt kommt unser Hobby-Vettel richtig in Form.
    Er dreht das Fenster runter. » Hey, Meesta, mach ma die Busspur frei, aber pronto, sons mach ick dir Beene! «
    Karls Gesicht taucht im Rückspiegel auf. Seine Miene oszilliert zwischen Unverständnis und Erstaunen.
    Unser Formel-1-Pilot hat mittlerweile erstaunlich behände das Brandenburger Tor umfahren, in magenunfreundlicher Fahrweise die Straße des 17. Juni geentert und hält jetzt mit locker 80 Sachen auf den Großen Stern zu. Als wir auf den Kreisverkehr zufliegen, springt die Ampel auf Rot und der alte Benz fällt bei der nötigen Vollbremsung fast auseinander. Der Spitzbart hämmert aufs Lenkrad und ist außer sich.
    » Det darf doch wohl nich wahr sein, welche Null hat denn die Ampelschaltung verbockt. Mann, Mann, dit vasaut mir voll den Schnitt. «
    Während Touristengrüppchen, Hundebesitzer und Radfahrer die Grünphase nutzen, um die Straßenseite zu wechseln, bauen sich zwei dunkel geschminkte Fantasiegestalten direkt vor unserem Taxi auf und beginnen, mit Feuerfackeln zu jonglieren.
    »Wo kommen denn die jetzt her?« Karl ist fasziniert. Davon stand wohl nichts im Reiseführer.
    Der Taxifahrer atmet schwer und legt den Kopf resignierend aufs Lenkrad.
    »Solche Straßenshows gibt es in Berlin an jeder zweiten Ecke. Die Stadt hat halt eine beeindruckende Artistendichte«, bemerke ich, nach hinten gewandt.
    Karls Augen leuchten. Die beiden Jongleure stehen jetzt einige Schritte auseinander und werfen sich die brennenden Keulen mit traumwandlerischer Sicherheit zu.
    Und mit Blick auf das Männchen neben mir ergänze ich: »Übrigens: Artistik kann man in Berlin sogar studieren.«
    Dafür ernte ich einen verächtlichen Seitenblick aus der Pornobrille.
    »An der ›Etage‹ in Berlin-Kreuzberg zum Beispiel oder an der Staatlichen Schule für Artistik, die liegt im ehemaligen Ostteil.«
    »Interessant«, entgegnet Karl.
    » Interessant. Wat Se nich sagen «, nimmt jetzt auch unsere Walter-Ulbricht-Karikatur die Steilvorlage auf.
    » Wozu soll man ditte studiern, det is doch voll für taube Nüsse. Taugt nüscht, bringt nüscht, ham wir nur noch mehr Arbeitslose. «
    Ich ignoriere seinen Einwurf und wende mich an Karl: »Als Meister aller Wissensklassen weißt du ja bestimmt, dass unsere Stadt eine lange Varieté-Tradition hat.«
    »Na klar, du meinst wahrscheinlich den ›Wintergarten‹. Gegründet 1877.«
    »Genau. Der heutige Wintergarten befindet sich ja in der Potsdamer Straße, die zu Westberliner Zeiten eine echte Vergnügungsmeile war. Oder anders gesagt: der Straßenstrich. Es ist bestimmt kein Zufall, dass der volkstümliche Name Potse an den Slangausdruck für das weibliche Geschlechtsteil erinnert. Der historische Wintergarten wurde dagegen 1880 direkt neben dem damals brandneuen Central-Bahnhof Friedrichstraße eröffnet, also da, wo heute der Admiralspalast steht. Unser charmanter Fahrer wird sich sicher noch erinnern ...«
    Der so freundlich

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