Berlin - ein Heimatbuch
mache?
»Was ist, Murat? Soll ich dich vielleicht begleiten?«
»NEIN, DANKE.«
Als ich drei Stunden später wieder nach Hause komme, hat sich meine Laune deutlich aufgehellt.
Ich habe spontan mein Motorrad aus der Garage geschoben, meinen alten Kreuzberger Schupo-Kiez besucht und mir nach dem gestrigen Taxifahrer-Schock eine Ray-Ban in gesellschaftsfähigem Design geleistet. Darüber hinaus ist endlich mein Konto gesperrt und eine neue EC-Karte beantragt. Selbst ein Schwätzchen mit meinem Lieblingsgemüsehändler Üsküdar war noch drin.
Als ich in die Küche komme, muss ich mir ein Lachen verkneifen.
Karl steht in Ann-Maries Schürze am Herd und gibt den Lafer – der Tisch ist schon eingedeckt.
»Überraschung: Ich habe Spätzle gemacht! Freust du dich?«
Wie blöd kann man sein? Meine Frau ist Schwäbin und Spätzle ist mein zweiter Vorname.
»Die magst du doch so gerne ... sagt Ann-Marie jedenfalls.«
Mir wird klar, dass dieser Mann heftig nach Liebe giert.
»Toll, Karl, Spätzle, das ist ja ein Ding«, sage ich also so enthusiastisch wie irgend möglich und bekomme prompt eine Giga-Portion auf den Teller geschaufelt.
»Dann mal guten Hunger, Murat! Hau rein, es ist reichlich da.«
In Wohltäterpose und mit grenzdebilem Biolek-Grinsen steht mein persönlicher Null-Sterne-Koch neben mir und prüft diktatorisch meine Kalorienaufnahme.
Ich schaufle hinein, was der Hunger hineintreibt. Die Spätzle sind total zerkocht, aber um die Darmperistaltik anzuregen, reicht’s.
»Wie wäre es, wenn wir heute mal ’nen Dampferausflug machen?«, knödele ich hinter all den Schabenudeln hervor.
»Mhmm, im Prinzip ein guter Vorschlag, bloß: Auf Schiffen wird mir immer schlecht.«
War ja klar, dass bei diesem Zwangsneurotiker selbst das Einfachste hoch kompliziert ist. Aber ich gebe nicht auf und grübele kauend weiter. Verdientermaßen kommt mir eine weitere Idee.
»Okay, ich kenne ein Schiff, da wird dir garantiert nicht schlecht. Oder wie wir in Berlin sagen: immer ’ne handbreit Wasser über dem Kiel!«
Er guckt wie ein U-Boot an Land.
»Diesmal packst du die Badehose besser ein, Schwoab, der Rest erklärt sich dann von selbst.«
Am Schlesischen Tor, einstmals last exit before the wall , verlassen wir die U-Bahn, laufen Schlesische Straße und Puschkinallee Richtung Treptow und biegen in die Eichenstraße ab zur Arena.
Ich zahle die drei Euro Eintritt pro Nase und wir steigen über diverse Treppen und Terrassen zum gefluteten Kahn.
Karl macht ein sagenhaft blödes Gesicht.
»Was ist’n das?« Der Mann ist schon wieder sprachlos. Noch ein paar solcher Tage und er wird mir eventuell noch sympathisch.
»Ein Badeschiff«, sage ich betont beiläufig, aber ohne den Triumph in meiner Stimme zu verbergen.
»Die definitiv sicherste Art, ein Schiff zu entern, ohne seekrank zu werden.«
»Das da war mal ein seetüchtiges Schiff?«
Der Mann kann vielleicht Fragen stellen.
»Klar, was glaubst du denn? Wahrscheinlich ist dem irgendwann die Lenzpumpe verreckt, und als nix mehr ging, kam dem Käpt’n des nutzlosen Kahns die Badeschiff-Idee.«
»Wenn ich dich so höre, Murat, bezweifle ich stark, dass du weißt, was eine Lenzpumpe ist und tut. Und überhaupt: Das hier ist kein Kahn, auch kein Motorschiff, sondern ein sogenannter Schubleichter. Die haben keine eigene Steuerung, geschweige denn einen Antrieb, und werden in der Binnenschifffahrt in größeren Verbänden von Schubschiffen befördert, so auch hier auf der Spree.«
Jungejunge, unfassbar, wie rasant der Knabe einem die gute Laune verderben kann.
»Du, Karl«, unterbreche ich ihn in einer einem Verschlucker geschuldeten Atempause, »ich weiß nicht, was du so vor hast, aber ich gehe mich mal umziehen.« Und lasse ihn einfach stehen.
Die Umkleiden und Duschen haben den zweifelhaften Charme des Provisorischen, aber immerhin ist alles sauber und funktional. Als ich jedoch in meine Sporttasche greife, ziehe ich statt der erwarteten bodybetonten roten Herzensbrecherbadehose meine hellblaue am Bund völlig ausgeleierte Schlabberbuxe mit dem kitschigen Delfinmuster aus dem letzten Türkei-Familienurlaub hervor. Und der liegt immerhin gut 15 Jahre zurück. Da habe ich wohl vor dem Trip ins Stadtbad Prenzlberg versehentlich in die falsche Schublade gegriffen. Wie peinlich. Das kommt davon, wenn man nie etwas wegwerfen will. Aber da ich mich nun einmal auf ein paar zünftige Kraulrunden eingeschossen habe, ignoriere ich den Fauxpas kurz
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