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Berlin - ein Heimatbuch

Berlin - ein Heimatbuch

Titel: Berlin - ein Heimatbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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gewisse antisemitische Tendenzen hervortat.«
    »Sieh an, der Brentano. Ich dachte immer, der wäre Torwart bei Tasmania 1900 gewesen?«
    Karls abschätziger Blick ist einfach unbezahlbar.
    »Schon gut, du Schöngeist, war nur ein Witz. Aber das hier solltest du kennen, wenn du dich als Berliner Literaturkenner profilieren willst.
    »›Chaussee der Enthusiasten. Straße ins Glück‹«, liest Karl so stockend wie ein ABC-Schütze von meinem Buchdeckel ab. »Was soll das sein: Reiseliteratur?«
    »Ach Karl, du bist wirklich von vorgestern. Berlin ist mittlerweile auch die Hauptstadt der Vorlesebühnen. Da stellen junge, szenige Autoren ihre Werke vor, sozusagen frisch aus dem Drucker gezogen. Und die Chaussee der Enthusiasten ist eine davon. Da sollten wir mal hingehen. Poetry-Slam und so.« Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht so genau, was Poetry-Slam ist und wie das funktioniert. Soviel ich weiß, eine Art trendiger Dichterwettstreit. Aber es ist immer clever, mit angesagten Schlagworten um sich zu werfen. Und meine Bemerkung hat gesessen. Karl, der Bücherwurm, schaut mich – wenn ich mich recht entsinne, das erste Mal in all diesen Tagen – mit so etwas Ähnlichem wie Respekt an.
    »Klingt nach ’ner spannenden Sache. Da kann jeder einfach so hin und was vortragen?«
    »Na ja, klar«, fabuliere ich ins Blaue hinein.
    »Ich mein nur ... weil, na ja weißt du, ich habe auch mal ein paar Geschichten geschrieben. Was mir so zu Hause passiert jeden Tag, weißt du, solche Sachen.«
    »Ja«, sage ich, »toll, genau so was, Geschichten aus dem Alltag, das ist für Vorlesebühnen perfekt, darauf fährt die Szene voll ab. Normales für Trendsetter, das finden die voll krass.«
    Aber ob sich die Szene ausgerechnet für Geschichten über Heilbronn oder gar Böblingen interessiert ... Ich kann ein schadenfrohes Grinsen nicht unterdrücken.
    Karl geht einen Moment in sich. »Meinst du, ich sollte da mal hingehen?«
    »Na klar, Mann, bist ein cooler Typ, Charly, die fahren bestimmt auf dein Zeug ab.«
    Karl nickt selbstzufrieden. In seiner Vorstellungswelt ist er nicht nur ein Alleskönner, sondern auch ein perfekter, wenn auch leider verkannter Schriftsteller. Bevor er womöglich gleich noch auf unser Reizthema »Comedytexte« zu sprechen kommt, wende ich mich flink dem nächsten Karton zu. Und lande prompt einen weiteren Volltreffer.
    »Hey, das hier ist Lebenshilfe pur. Hier sagt dir einer, wie es weitergeht. Wie du deine Batterie wieder auflädst und auf die Gewinnerstraße findest.«
    Karl schaut erst auf das Buch, dann in mein Gesicht.
    »Eine Reparaturanleitung für eine Kawasaki Ninja?«
    »Okay, okay. Ist vielleicht ein bisschen speziell. Aber gute Literatur kann nie alle Leser begeistern, stimmt’s?«
    Karl ist längst wieder unter Tage.
    Inzwischen lässt sich das Knurren meines Magens definitiv nicht mehr ignorieren. Schnell drücke ich dem Kistenfetischisten meine beiden Errungenschaften in die Hand. »Gib mir bitte fünf Euro. Ich sprinte schnell zurück zum Alex und hole mir ’ne Pommes und dir ’ne Bratwurst.«
    Die gibt es dort nämlich für unschlagbare 1,20 Euro das Stück. Folge eines erbarmungslosen Konkurrenzkampfes zwischen den Firmen Grillwalker und Grillrunner, der auch als Berliner Bratwurstkrieg bekannt wurde. Der Erfinder der tragbaren Grillanlagen und gleichzeitige Gründer der Firma Grillwalker hatte sich sein Gerät zwar patentieren lassen, aber nicht bedacht, dass Konkurrenten ebenfalls mit seinem Tragegrill durch die Gegend patrouillieren können. Was die Firma Grillrunner, die auf jeden Fall den dynamischeren Namen hat, denn auch prompt tat. Da ein weiterer Konkurrent – auf das Mitleid der Laufkundschaft spekulierend – zuvor schon Griller in den Rollstuhl gesetzt hatte, kam es zwangsläufig zur Eskalation. Schnell stellte sich heraus, dass die angeblich behinderten Brutzelexperten nach Feierabend genauso quicklebendig nach Hause walken und runnen konnten wie ihre gesunden Konkurrenten. Was dazu führte, dass völlig entgeisterte Touristen mitten am Tag mit ansehen mussten, wie eben noch Schwerbehinderte im nächsten Moment von aufgebrachten Mitbewerbern aus ihren Rollstühlen gescheucht wurden und im Schweinsgalopp das Weite suchen mussten, um den drohenden Prügeln zu entkommen.
    Aus Solidarität mit dem geistigen Schöpfer des mobilen Grills kaufe ich Karls Wurst natürlich bei einem jungen Mann, der das »Grillwalker«-Shirt spazieren trägt. Und eile dann meinerseits, nachdem ich

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