Berlin - ein Heimatbuch
Bar
Kantstraße 152, 10623 Berlin-Charlottenburg, Tel.: 030 / 313 80 52, www.parisbar.net
Unter anderem das zweite Wohnzimmer des »Bild«-Kolumnisten Franz Josef Wagner. Ansonsten trifft man hier A-, B- und C-Promis aller Stilrichtungen. Hier ein paar Namen langjähriger Stammgäste: Hellmuth Karasek, Otto Sander, Helmut Dietl, Götz George, Udo Lindenberg, Ben Becker, Iris Berben, Sabine Christiansen, Gerhard Schröder, Wim Wenders. Der Dramatiker Heiner Müller schrieb einst: »Wer hier eintritt, lasse alle Hoffnungen fahren, dass er herauskommt, ehe es Morgen wird. Und dass er herauskommt als der gleiche, der hineinging.« Entweder wahr oder gut erfunden ist der Divenauftritt von Madonna, die unangemeldet in die Paris Bar kam und sich an den nächsten freien Tisch setzte. Als man ihr mitteilte, dass dieser Tisch für Gina Lollobrigida reserviert sei, sagte sie angeblich nur: »Who the fuck is Gina Lollobrigida?«, und blieb sitzen.
Nachts sind alle Kitkats schau
Gegen neun Uhr abends sind wir wieder zurück in Britz. Karl zieht sich ins Gästezimmer zurück und ich habe endlich mal wieder Gelegenheit, mit der besten Ehefrau von allen zu konferieren. Es gibt da dringenden Klärungsbedarf. Ich finde sie im Wohnzimmer, mit ihrem Fünfmonatsbauch lässig auf dem Sofa hingestreckt und in einer Illustrierten blätternd.
»Hallo Schatz«, flötet sie mich an. »Wie war euer gemeinsamer Tag in der großen, wilden Stadt?«
Ich suche nach einem passenden Gesprächsauftakt. »Äh..., hör mal ...«
»Was hast du? Irgendwas nicht in Ordnung?«
»Doch, nein, ich meine, alles ist gut. Ich frage mich nur, wann ich mein normales Leben zurückbekomme.«
Sie schaut mich mit unschuldigen Rehaugen an.
»Ich habe keine Ahnung, was du meinst, Liebling.«
»Okay, dann halt deutlicher: Wie lange muss ich diesen Korinthenk... ich meine, wie lange möchte unser ehrenwerter Besuch uns noch mit seiner Anwesenheit beglücken?«, presse ich heraus, meinen Ärger miserabel kaschierend.
Sie steht auf, stellt sich vor mich und nimmt mein Gesicht in ihre Hände.
»Habt ihr euch gestritten?«, fragt sie kritisch.
»Nein, das nicht.«
»Also, was dann?«
»Nichts. Ich hätte nur gerne mal etwas Luft .«
»Ah, sieh an, mein Mann braucht Luft !« Die Tonlage verschärft sich.
»Es reicht also nicht, dass du als erwachsener Mann und Familienvater stundenlang durch die Stadt tigern kannst? Frei von allen Verpflichtungen? Was brauchst du noch? Eine Kur in der Schweiz? Ein Sauerstoffzelt?« Unvermittelt holt sie nun selbst tief Luft, vielleicht weil sie merkt, dass Vorwürfe keine gute Strategie sind. Stattdessen tätschelt sie mir versöhnlich die Wange. »Ich weiß, das ist nicht einfach für dich, Schatz. Aber Karl steckt in einer tiefen Lebenskrise. Da müssen wir als Freunde unsere Egoismen ein wenig hintanstellen.«
Es hat keinen Zweck. Ich bin eine Geisel im eigenen Heim. Schwäbischer Sektor, besetzte Zone. Ich gebe ihr einen Kuss auf die Stirn und verlasse schweigend das Zimmer.
»Ihr solltet auch mal was Ungewöhnlicheres unternehmen. Berliner Nachtleben und so«, schallt es mir in den Flur hinterher.
Ja klar. Murat24.com, der Nonstop-City-Scout.
Beim späten Abendbrot ziehe ich es vor, den einsamen Schweiger zu mimen. Die Schwabenfraktion nimmt davon keine große Notiz.
»Ann-Marie und ich haben gerade festgestellt, dass wir noch gar keine richtige Sause unternommen haben«, sagt unser vergnügungssüchtiger Hausschmarotzer.
»Sause«. Bei dem Wort stehen mir die Zehennägel senkrecht.
»Mal die Szene checken. Du weißt schon ...«
Nein, weiß ich nicht. Wenn überhaupt die »Szene« irgendwo auf der Welt eine Überlebenschance hat, dann, weil Nerds wie Karl nicht wissen, was und wo diese Szene ist.
»Okay.« Ich mache eine bedeutsame Pause und mustere ihn kauend. »Was verstehst du denn bitte unter ›Szene‹?«
Karl lacht siegesgewiss. »Na, was jeder darunter versteht. Szene, das ist eben das coole Umfeld, wo nicht die Touristen und Normalos durchtrampeln. Sondern nur die Insider.«
Kann mir mal einer verraten, was mit dem Kerl heute los ist? Hat er letzte Nacht ein Jugendsprache-Wörterbuch auswendig gelernt oder was?
»Okay.« Pause. »Und zu welcher Sorte zählst du dich?«
Mein Schienbein erzittert unter einem festen Tritt. Ann-Maries sanfte Art, mich zur Ordnung zu rufen.
»Ich meine, Berlin ist ja die Stadt, wenn es ums Feiern geht«, legt der Schwabenpfeil los. »War doch schon immer so. Berlins
Weitere Kostenlose Bücher