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Berlin - ein Heimatbuch

Berlin - ein Heimatbuch

Titel: Berlin - ein Heimatbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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sich artig aus seiner Wolle.
    Ich beginne mit der Anprobe. Aber es sieht gar nicht gut aus. Alles, was ich aus der Tasche zaubere, ist drei Nummern zu klein.
    Alles klar, so geht es nicht. Zeit für den Publikumsjoker. Jetzt kommt der Hauptdarsteller des heutigen Abends ins Spiel: meine Schere. Ich fummle die grellfarbene Warnweste aus dem Fach des Reservereifens.
    »Hey, was machst du da? Du machst das kaputt!«
    »Ist das dein Auto oder was?« Unglaublich, was dieser Provinzfürst sich so alles anmaßt. Zunehmend begeistert schneide ich anarchische Muster in die schrille Jacke. Nach zehn höchst kreativen Minuten betrachte ich mein Gesamtkunstwerk.
    Karl trägt jetzt, was von der Weste übrig ist. Und zwar auf nackter Haut. Dazu meine Axl-Rose-mäßige Radlerhose aus den frühen 90ern, die zwar total ausgeleiert ist, aber an Karl tadellos sitzt. In die Haare habe ich ihm eine ganze, von meiner Frau gemopste Dose Wachs geschmiert. Anstelle der Birkenstocks trägt er nun meine alten Doc Martens, die ihm zwar nicht ganz passen, seinen Schritten aber etwas angemessen Schwankendes geben. Den krönenden Abschluss bildet meine gestern ausgemusterte Sonnenbrille für angehende Mädchenhirten.
    Sagenhaft, wie unglaublich beknackt der Insider von eigenen Gnaden aussieht.
    Um ihn nicht misstrauisch werden zu lassen, lobe ich ihn eifrig über den giftgrünen Klee. »Zum Anbeißen süß. Du wirst dich vor einschlägigen Angeboten nicht retten können.« Dabei kann ich gar nicht aufhören in mich hinein zu glucksen. Am liebsten würde ich mich in einem wilden Lachkrampf auf dem Boden wälzen. Aber dann würde Karl Lunte riechen, also reiße ich mich zusammen. Obwohl wir gleich kläglich an der Clubpforte scheitern werden und das Ganze also ein kurzes Vergnügen war: Den Spaß war es allemal wert. Karl spart sich jeden Kommentar zu seinem Outfit. Einen Spiegel habe ich wohlweislich zu Hause gelassen. »Auf geht’s, Django. Lass uns die Sterne putzen gehen.«

    Entgegen all meinen Erwartungen stehen wir wenige Augenblicke später mitten im Club. Der Türsteher muss irgendwas genommen haben, was voll auf die Sehkraft geht. Nie im Leben hätte er sonst so jemanden wie Karl durchlassen können. Oder sollte das eine falsch verstandene humanitäre Geste sein? Egal. Wenn wir jetzt schon drin sind, können wir’s auch krachen lassen. Was aber gar nicht so einfach ist. Die Musik ist irgendwas Richtung »House« und zudem relativ leise. Kein Wunder: Wir sind, bis auf ein paar versprengte Touristentypen – von wegen Szene –, die einzigen Gäste.
    Karl zischt aus lauter Nervosität innerhalb von wenigen Minuten drei große Bier und schwankt auf seinem Barhocker bereits wie ein Rohr im Tornado. Ich glaube kaum, dass er besonders trinkfest ist. Also beginne ich mir Sorgen zu machen. Insbesondere weil sein derzeit geradezu selbstmörderisches Finanzgebaren bald seine Privatinsolvenz nach sich ziehen wird. Und wen er dann anpumpt, kann ich mir lebhaft ausmalen. Also muss ich mir schleunigst etwas einfallen lassen. Während ich nachdenke, kippelt Karl zunehmend bedenklich auf seinem Hochsitz hin und her. Mit unsicherem Blick scannt er den Raum und schaut mich dann fragend an. Sein Outfit ist die pure Katastrophe. Ich habe fast ein schlechtes Gewissen.
    »Wo sind die alle?«
    »Senor: Du wolltest unbedingt schon in aller Frühe los.«
    »Was? Halb zwölf nennst du früh?«, lallt er mit bleischwerer Zunge, hält mir in einer abenteuerlich ungelenken Verrenkung seine Armbanduhr vors Gesicht und rülpst mich dann unerwartet an.
    »Sorry, Murat.«
    »Ich sag dir eins: Wenn du so weitertrinkst, ist der Abend für dich bald gelaufen.«
    »Ja, ja. Is ja gut.«
    Tatsächlich reißt er sich nun ein wenig zusammen. Ob aus Einsicht oder Geiz, ist nicht ganz klar. Mir aber auch egal. Etwa zwei Stunden später ist der Club endlich gut gefüllt. Immer heftiger beginnt der Menschenstrom zu fließen. Buntes Volk erobert die Tanzfläche. Jede Menge Lack, Leder und nackte Haut zucken im Rhythmus der Musik und der blitzenden Lichter. Der DJ hat gewechselt und die Musik an Drive und Lautstärke erheblich zugelegt.
    Inmitten dieser berauschten Menge fällt Karl in seinem bescheuerten Dress kaum noch auf. Nur hin und wieder entwischt dem einen oder anderen Tresengast bei Karls Anblick ein fettes Grinsen. Ansonsten darf unser wandelndes Warnsignal sich hier ganz wie zu Hause fühlen. Als ich ihn auf die Tanzfläche ziehen will, denn schließlich sind wir ja nicht

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