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Berlin - ein Heimatbuch

Berlin - ein Heimatbuch

Titel: Berlin - ein Heimatbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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Nachtleben in den 20er-Jahren war legendär.«
    Während Karl wieder seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Dozieren über längst vergangene Zeiten, nachgeht, fixiert mich die grausamste Ehefrau von allen mit einem Blick, der dringend unter das Verbot biologischer Kampfstoffe fallen müsste.
    »Murat hat sicher eine tolle Idee, wo ihr morgen zusammen hingehen möchtet«, nutzt sie eine kurze Kunstpause in Karls Vortrag, mich nicht aus dem Fadenkreuz lassend. »An einem Freitag in Berlin findet sich immer was.«
    Nun schauen mich plötzlich beide erwartungsschwanger an.
    Na gut, ihr Spätzleschaber. Dann zeig ich euch mal, was eine echte Berliner Harke ist.
    »Okay. Meinetwegen, ihr habt mich rumgekriegt«, sage ich, den Besiegten mimend.
    Ann-Marie tätschelt zufrieden meinen Arm, während Karl sein selbstzufriedenstes Breitmaulfroschgrinsen aufgesetzt hat.
    Am nächsten Abend steht unsere Partynacht an. Und ich hab mir dafür was Feines ausgedacht.
    Der Kitkatclub ist legendär. Nicht nur wegen seines berühmten imagefördernden Namensvetters aus dem Musical »Cabaret«. Fast jeder, der irgendwie trendy sein möchte, hat schon einmal von diesem Club und seinem schönen Motto »Perversion auf Weltniveau« gehört. Aber die wenigsten haben ihn tatsächlich von innen gesehen. So auch ich. Aber da die verständnisvollste Ehefrau von allen ja darauf besteht, dass ich mich unbedingt ins Berliner Nachtleben stürzen soll: Wer bin ich, ihr widersprechen zu wollen? Also heißt es: Tonight’s the Night.
    Ich suche im Schrank nach irgendwas, was dem Dresscode dieses Etablissements halbwegs gerecht werden könnte. Eine schwarze, hautenge Lederhose mit Nieten, die ich mal für eine missratene Bühnennummer angeschafft habe. Dazu ein neongelbes T-Shirt mit allerlei asiatisch anmutenden Schriftzeichen. Weiße Sneakers und ein paar schön schräge Accessoires aus meinem Bühnenfundus. Als ich in den Spiegel schaue, erschrecke ich kurz. Aber dann tröste ich mich damit, dass Karl-Holger in Kürze erheblich peinlicher aussehen wird als ich.
    Was mich gleich zum Kern des Problems bringt. Wie um Himmels willen kriege ich diesen schwabbligen Brocken so gestylt, dass auch der härteste Türsteher Berlins ein Einsehen hat?
    Ich sammele gezielt die seltsamsten Gimmicks aus meinem Fundus zusammen und stopfe sie in meine Allzweck-Sporttasche.
    »Murat, was ist? Wollen wir los?«, tönt es unternehmungslustig aus dem Gästezimmer.
    »Tranquilo, Schwoab. Es ist gerade mal 21 Uhr. Die Szene kommt erst spät in Gang – wenn die Normalos und Touristen alle schon ins Bettchen müssen.«
    Karl lacht feist, jetzt ganz der Insider. »Genau. Und danach geht es richtig ab.«
    Du wirst dich noch wundern, Keule.
    »Was soll ich deiner Meinung nach am besten anziehen?« Dass dieser Schrecken aller Modedesigner solch eine Frage überhaupt stellt: Es geschehen noch Zeichen und Wunder.
    »Ach, lass man, Karl Ich hab dir schon was eingepackt.«
    Im Stillen ergänze ich: Du wirst schon sehen, was eine Sause ist.
    Um die Zeit totzuschlagen, setzen wir uns noch eine Weile zu dritt vor den Fernseher. Meine Frau hat meine Garderobe kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen. Gefragt, wo wir eigentlich hinwollen, hat sie nicht. Ist auch besser so.

    Der Kitkatclub ist mittlerweile in die Köpenicker Straße umgezogen, was typisch für die Berliner Clubszene ist: Die Ansiedlungspolitik bestimmt der aktuelle Mietspiegel. Ich habe für den besonderen Anlass ausnahmsweise meinen Tour-Van bemüht und parke das Monster circa 100 Meter vom in der Brückenstraße gelegenen Eingang entfernt.
    Jetzt kommt der schwierigste Teil des Abends: Wie mache ich aus einem bemitleidenswert biederen Brabbelbubi einen begehrenswerten, hippen Dancefloor-Hero?
    Wir stehen vor der geöffneten Heckklappe, vor mir die Sporttasche und allerlei Fummel.
    »Zieh dich aus, Insider«, sage ich mit meiner verruchtesten Stimme.
    Karl schaut mich entsetzt an. Es ist elf und die Straße relativ hell erleuchtet.
    »Ich soll mich ...? Hast du sie noch alle?« Vor lauter Empörung zieht er seine Rotzfahne aus der Tasche und beginnt seine Schnaub-Arie. Sieh an. Letztens dachte ich schon, er hätte diese Macke überwunden.
    »Wir können’s auch lassen. So jedenfalls«, ich mustere ihn betont abschätzig von oben bis unten: Strickpulli, Kordhose, Birkenstocks, »darfst du in einem angesagten Laden nicht mal das Klo putzen.«
    Karl stöhnt widerborstig. Aber da er ja unbedingt zur Szene gehören will, schält er

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