Berlin - ein Heimatbuch
als Ölgötzen hier, raunt er mir zu: »Muss zum Klo«, und verschwindet schwer schwankend im Pulk der wippenden Masse.
Ich schwebe auf die Tanzfläche und lasse mich von den Grooves davontragen.
Zwei Stunden vergehen wie im Flug – ich bin schweißgebadet, kann nicht mehr und will ins Bett. Immerhin bin ich keine 20 mehr.
Aber wo ist Karl?
Ich finde ihn, rein zufällig, kurz vor dem Ausgang. Er hockt wie ein halb geleerter Müllsack in sich zusammengefallen direkt neben dem Eingang. Offenbar hat er doch wieder dem Alkohol gefrönt. Die Lady an der Kasse guckt mich genervt an.
»Gehört der Freak zu dir?«, zischt sie mich an.
Ich nicke. Und ernte einen verächtlichen Blick.
»Okay, du Landei. Schnapp dir dein Riesenbaby und mach die Fliege.«
Landei! Das mir, der Idealverkörperung eines urbanen Tanzgottes. Um in einem zünftigen Streit mit dem skelettierten Drogenmäuschen nicht meine überlegene Muskelkraft ausspielen zu müssen, verzichte ich, ganz Kavalier der alten Schule, auf eine angemessene Erwiderung und pariere schweigend. Ich schiebe und zerre den hilflos torkelnden Szenehelden ins nun schon wieder taghelle Freie, packe ihn mit viel Mühe auf den Beifahrersitz des Vans und schnalle ihn an.
»Komische Disco, Murat. Die einen tanzen. Und die anderen ...«
Der Oberchecker macht irgendeine Geste, die vermutlich obszön sein soll, in Wahrheit aber an den Balztanz einer Kaulquappe erinnert.
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Ach, Murat«, lallt der Durchblicker debil grinsend. »Du kriegst aber auch rein gar nix mit.«
Tja, das unterscheidet ein Landei wohl von einem echten Insider.
PS: Wer den Titel dieses Kapitels nicht verstanden hat: »Schau« war DDR-Jugendslang für »schön, toll, klasse«. Ein im Westen ähnlich unbekannter Begriff wie »urst«, der für »sehr« beziehungsweise »geil« steht. Beliebt war auch die Kombination »Das war urst schau.«
Übersetzt in heutige Jugendsprache müsste der Titel heißen »Nachts sind alle Kitkats gach.«
Berlin für Nachtschattengewächse
Berlin ist mit rund 300 Veranstaltungsorten, circa 600 Bars und seiner nicht existierenden Sperrstunde ein Eldorado für alle Nachtschwärmer dieser Erde. Darum gilt die deutsche Hauptstadt zumindest für das »Time Magazine« als »coolste Stadt der Welt«. Neben dem bereits erwähnten Kitkatclub hat insbesondere das am Ostbahnhof gelegene und vom englischen Magazin »DJ Mag« als »bester Club der Welt« gekürte Berghain internationalen Bekanntheitsgrad erreicht. Der Senat selbst hat in der Zwischenzeit das Potenzial der Musikkultur seiner Stadt begriffen und sogar ein Homepage-Projekt ins Leben gerufen, das es Gästen möglich macht, den passenden Club zu finden ( www.clubmatcher.de ).
Persönlich finde ich das White Trash Fast Food Restaurant (Schönhauser Allee 6–7) ansprechend. Im Keller befindet sich ein Club, im Erdgeschoss ein Restaurant, das internationales, exotisches Essen nach Hausfrauenart kredenzt. Außerdem gibt’s ein Tattoostudio namens »No Pain No Brain«. Diese ungewöhnliche Mischung und die auf eigenwillige Art durchaus heimelige Atmosphäre lockten bereits Stars wie Mick Jagger, Pink oder Marilyn Manson an.
Kitkatclub
Köpenickerstraße 76, 10179 Berlin-Mitte, www.kitkatclub.org
Berghain
Am Wriezener Bahnhof, 10243 Berlin-Friedrichshain, www.berghain.de
White Trash Fast Food Restaurant
Schönhauser Allee 6–7, 10119 Berlin-Mitte
Weitere Adressen und Informationen zu Veranstaltungen findet man unter:
www.zitty.de
www.berlin030.de
www.tip-berlin.de
Individuell gestaltete Erotiktouren für Frauen- und Männergruppen kann man buchen unter www.sexyberlintours.de .
Eine echte Sumpfblüte
Der Samstagmorgen verläuft ganz nach Plan. Nämlich im Tiefschlaf. Als ich aufwache, zeigt der Wecker 12:30 Uhr. Ich fühle mich angenehm erquickt. Lediglich meine Beine signalisieren leichte Anzeichen von Muskelkater.
Als ich auf nackten Füßen am Gästezimmer vorbeitapse, höre ich unseren schwäbischen Tanzbären noch kräftig sägen. Keine Kondition, der Mann.
»Na, wie war euer kleiner Ausflug?«, will die fleißigste aller Ehefrauen wissen, trotz ihres schon recht runden Schwangerschaftsbäuchleins den prall gefüllten Einkaufsbeutel in die Küche schwingend.
»Ach, nix Besonderes. Waren in Kreuzberg 36 in irgend so ’ner Disse.«
»Da habt ihr es aber ganz gut ausgehalten. Ihr wart ja erst gegen fünf Uhr zurück.« An meiner Frau ist eine perfekte Spionin verloren
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